Frühjahr 1994 bin ich erblindet. Damals wohnte ich bereits in der Simon-Dach-Straße im Ostteil der Stadt. Ganz in der Nähe hatte das Komm-Rum eröffnet, einem Begegnungsort für seelisch Kranke und Psychiatriebetroffene. Hier konnte ich nicht nur meine Wäsche waschen. In diesem Kreis mühselig Beladener Menschen fühlte ich mich, der mit dem Dunkel in seinen Augen zurechtkommen musste, ganz gut aufgehoben. Für unsere Musikgruppe schrieb ich zwei Lieder zum Thema Depression. Beim ersten nutzte ich die Melodie des Songs "The house of the rising sun".
Ich über mich
Sich zusammen-reißen!
Du hast schon früh gelernt, dich "zusammenzureißen". Das geschieht auf zweifache Weise...
Verstrickungen
Wie unsere Vor-Bilder nachwirken. (3)
Von meiner Mutter habe ich den Intellekt und die Augenerkrankung, die auch bei mir zur Erblindung führte, geerbt. Von meinem Vater stammt mein idealistischer Überschwang, eine große Gutherzigkeit, aber auch ein gewaltiger Eigensinn. Dass auch er manisch-depressiv veranlagt war, habe ich erst nach seinem Tode begriffen.
In der Depression gefangen
Von der leidvollen Erfahrung der Selbst-Konfrontation (1)
Das folgende Gedicht entstand im Mai 1976. Im Winter hatte ich mir durch Schneeschippen vier Wochen Urlaub in Marokko verdien. Zurück aus der Sonne fiel ich in eine abgrundtiefe Traurigkeit. Um auf andere Gedanken zu kommen, ging ich in den Grunewald. Dort, auf seinen sandigen Wegen, war mir schon so manches sexuelle Vergnügen zugefallen. Aber mein Traum ging nicht in Erfüllung.
Beflügelt von der Manie
Die Erfahrung euphorischer Selbst-Entdeckung (2)
April 1978 verbrachte ich mit einem Freund vier Wochen auf einem aufgegebenen Bauernhof in den Bergen von Mallorca. Jeden Nachmittag saß ich mit einem Stift und einem Schreibblock in dem kleinen Innenhof. Ich konzentrierte mich auf das „automatische Beschreiben". Irgendwann setzte sich mein Kuli von selbst in Bewegung. Ich stellte Fragen und bekam sie beantwortet. Nach einigen Tagen gab sich mein Gegenüber als der Erzengel Gabriel zu erkennen.
Florian oder das (fast) zerbrochene Herz
Während unsere Protestbewegung an Schwung verlor und sich immer mehr linke Gruppen bekämpften, waren in Westberliner Stadtbild immer häufiger junge Menschen in einem warmen, orangefarbenen Outfit zu entdecken. Um den Hals trugen sie eine Kette aus Holzperlen und an ihrem Ende war in einem Medaillon das Bild ihres Gurus Bhagwans zu sehen. Ihr religiöses Zentrum befand sich in einem Hinterhof am Mehringdamm. Dort konnte man an der Dynamischen Meditation oder an der Kundalini teilnehmen. Bei der Dynamischen schrie ich mir die Seele aus dem Leibe, um in der letzten Viertelstunde auf dem Boden liegend meinen angenehm erschöpften Körper zu spüren. Der Kundalini, bei der ich fünfzig Minuten lang den ganzen Körper zu schütteln hatte, verdankte ich eine beseligende Trance.
Patrick oder auf dem Weg in eine neue Welt
Ohne meinen Freund Heinz hätte ich mich sicher nicht so schnell in die USA gewagt. Aber seine Begeisterung, mit der er von seinem Aufenthalt in Amerika erzählte, war ansteckend. Deshalb saßen wir im Juli 1973 gemeinsam im Flugzeug nach New York. Im Gepäck eine Reihe von Adressen, die sich als nicht mehr zutreffend herausstellten. Heinz konnte bei Freunden, die er von seinem ersten Trip her kannte, schlafen. Sie gingen tagsüber einem Job nach, um sich abends mit Heroin in eine andere Welt zu spritzen. Einmal nahm Heinz mich mit in seine von drei großen Katzen bewachte Drogenhöhle. Ein paar Tage später fielen sie plötzlich über ihn her und jagten ihm einen gehörigen Schrecken ein.
Als die Träume Fleisch ansetzten!
Am 6. Dezember 1968 wagte ich mich zum ersten Mal in eine schwule Bar. Ich weiß das so genau, weil mir am Eingang des Trocaderos ein junger Mann einen Schoko-Nikolaus in die Hand drückte. In der schwulen Nachtwelt fühlte ich mich viel unsicherer als tagsüber in den Seminaren oder auf einer unserer vielen Demos. Hier wurde ein anderes Outfit erwartet. Ich zwängte mich in hautenge, verwaschene Jeans. Das weiße, körpernah geschnittene Plüschhemd erschwerte das Atmen. Meine armen Zehen litten unter den spitz zulaufenden Schuhen. Aber diese Verkleidung half mir, mich in dieser Welt wortlosen Werbens zu behaupten.
Das Brot der frühen Jahre
Es wurde mir nicht leicht gemacht, in dieser Welt anzukommen. Durch die langwierige Geburt hatten sich die Brustwarzen meiner Mutter entzündet. Sie konnte mich nicht stillen. Anfangs erbrach ich die Kuhmilch. Auf der Säuglingsstation wütete eine Magen-Darm-Grippe. Ich war einer der wenigen Neugeborenen, die überlebt haben.
Aus der Bahn geworfen, auf den Weg gebracht
Ein (musikalisches) Portrait, erstellt von Gerrit Wielke
Zum download des musikalischen Portraits einfach auf das CD-Cover Bild oder den Link klicken:
Daniel Schneider - aus der Bahn geworfen - auf den Weg gebracht!
Weitere Audiodateien zum anhören und Download:
Einleitung zu meinem Buch “Florian – die Geschichte eines (fast) zerbrochenen Herzens”
Selbstfindung in unruhigen Zeiten
Das folgende Buch ist Herbst 1979 und Frühjahr 1980 in der Anarchodruckerei "Die Keule" in der Oranienstrasse in Kreuzberg entstanden. Ulla und Klaus möchte ich hier noch einmal ganz herzlich für ihre großzügige Gastfreundschaft danken.