Die Erfahrung euphorischer Selbst-Entdeckung (2)
April 1978 verbrachte ich mit einem Freund vier Wochen auf einem aufgegebenen Bauernhof in den Bergen von Mallorca. Jeden Nachmittag saß ich mit einem Stift und einem Schreibblock in dem kleinen Innenhof. Ich konzentrierte mich auf das „automatische Beschreiben". Irgendwann setzte sich mein Kuli von selbst in Bewegung. Ich stellte Fragen und bekam sie beantwortet. Nach einigen Tagen gab sich mein Gegenüber als der Erzengel Gabriel zu erkennen.
Er kam mit nach Deutschland. Fast ein Jahr waren wir zusammen. Gemeinsam flüchteten wir über eine Mauer aus der psychiatrischen Anstalt in Wiesloch bei Heidelberg. Drei endlos lange Sommerwochen saßen wir in einer Zelle im Moabiter Knast. Einmal trampten wir in die Schwäbische Alb zu Phönix, einem Drogenfreak. Der schenkte mir zum Abschied seine Lederjacke. Auf ihren Rücken hatte er „Phönix-den Feuervogel" gemalt. Noch erfasste ich nicht, welch wertvollen Schlüssel zu meiner Persönlichkeit er mir mitgegeben hatte.
Die Griechen haben diesen Vogel aus der ägyptischen Sagenwelt übernommen. Dort verkündet er das Geheimnis der Wiedergeburt. Der Mensch muss in Flammen aufgehen, um verjüngt aus der Asche neu geboren zu werden. Die Deutung der Griechen fiel schon nüchterner aus. Der Mythos spiegelt das Schicksal von Menschen, in deren Leben sich manische und depressive Episoden abwechseln. Moderne Psychologen sehen kein Schicksal mehr am Werk, sondern diagnostizieren eine „bipolare Störung". Wie der Artikel bei Wikipedia zeigt, versuchen sie diesen „unheimlichen Bereich" durch immer neue Eingrenzungen in den Griff zu bekommen.
Von außen, ohne Sympathie für den Betroffenen, wird die manische Phase beschrieben: „Eine manische Episode ist durch gesteigerten Antrieb und Rastlosigkeit, oft mit inadäquat euphorischer oder gereizter Stimmung gekennzeichnet. Dabei ist die Fähigkeit zur Prüfung der Realität mitunter stark eingeschränkt und die Betroffenen können sich in große Schwierigkeiten bringen. „
Schon das altgriechische Wort „Mania" hatte die Bedeutung von Wahnsinn. Aber es sah in der Manie auch eine Brücke zu anderen, höheren Wirklichkeiten. Wird mit einer solchen Wirklichkeit nicht mehr gerechnet, werden auch die entsprechenden Erfahrungen angezweifelt.
Wer war denn nun dieser Erzengel Gabriel? Ich weiß es nicht im Sinne einer rationalen Erklärung. Aber dank seiner Zuneigung konnte ich mich mit meinem bisherigen Leben aussöhnen. Einmal führte Gabriel mich auf den Berg oberhalb unseres Hofes. Dort hatte ich mich nackt auf einen großen, behauenen Stein zu legen. Am Rücken spürte ich die Strahlen der untergehenden Sonne. Es war ein irres Gefühl. Endlich war ich in meinem Körper, der mir so viele Probleme bereitet hatte, angekommen!