Ohne meinen Freund Heinz hätte ich mich sicher nicht so schnell in die USA gewagt. Aber seine Begeisterung, mit der er von seinem Aufenthalt in Amerika erzählte, war ansteckend. Deshalb saßen wir im Juli 1973 gemeinsam im Flugzeug nach New York. Im Gepäck eine Reihe von Adressen, die sich als nicht mehr zutreffend herausstellten. Heinz konnte bei Freunden, die er von seinem ersten Trip her kannte, schlafen. Sie gingen tagsüber einem Job nach, um sich abends mit Heroin in eine andere Welt zu spritzen. Einmal nahm Heinz mich mit in seine von drei großen Katzen bewachte Drogenhöhle. Ein paar Tage später fielen sie plötzlich über ihn her und jagten ihm einen gehörigen Schrecken ein.
Ich durfte meinen Rucksack tagsüber im Apartment eines Schwarzen unterstellen. Anfangs schlief ich nachts oben auf dem Dach, wo Anwohner ihre Steaks grillten und von überall her Musik zu hören war. Beim Gedanken an die nahen Häuserschluchten lief es mir kalt den Rücken herunter. Dass ich keinen festen Schlafplatz hatte, machte mir Angst. Heinz ging alles viel lockerer an. Seine mangelhaften Englischkenntnisse vertuschte er, indem er Kaugummi kauend bei fehlenden Vokabeln in ein seltsames Grunzen auswich. Dabei grinste er breit und alle hielten ihn für einen angenehm durchgeknallten Typen. Alles war so neu und aufregend, dass auch ich mit der Zeit meine Ängste vergaß und in den Tag hineinzuleben wagte.
Mit dem Freak-Bus nach San Francisco
Acht Menschen hatten auf seinen mit Matratzen ausgelegten Boden Platz gefunden. Schon die räumliche Enge zwang, sich schnell anzufreunden. Wir fühlten uns wie in einem Film, als wir nach zweieinhalb Tagen über die endlos lange golden-gate-brigde Kaliforniens Traumstadt erreichten. Vor fünf Jahren waren die Bilder vom Sommer der Liebe um die Welt gegangen. Haight Ashbury, das damalige Zuhause der Hippies, war inzwischen zu einem Slum verkommen. Nur noch einzelne Graffitis erinnerten an jenes untergegangene Paradies. Wieder konnte Heinz bei Freunden schlafen. Ich bat in einem schwulen Selbsthilfecenter um eine Übernachtungsmöglichkeit. Meine Gastgeber erwiesen sich als ältere Schwule, die zum Dank körperliche Nähe erwarteten.
In einer der ersten Nächte geriet ich auf eine Drogenparty. Bei den Haschrebellen im Tiergarten hatte ich mehrmals an einem Joint gezogen. Hier gab man sich nicht mit Haschisch zufrieden. Es wurde gekokst und Trips weitergereicht. Selbst auf der Treppe nach oben hingen die abgefuckten Typen. Manche Dösten mit glasigen Augen vor sich hin, während andere sich an ihrer Hose zu schaffen machten. Keiner hier schien meine Unsicherheit mitzubekommen. Gegen Morgen nahm mich ein Germanistikstudent mit in seine WG. Neben der Matratze lagen Klammern und Nadeln und mein Gastgeber wollte von mir gequält werden. Ich muss mich ziemlich blöde angestellt haben. Trotzdem wurde ich in der Wohnung weiter geduldet. Die meisten hatten ihr Studium abgebrochen und lebten von Lebensmittelgutscheinen, die sie in den Supermärkten einlösen konnten. Manchmal sah ich auf dem Hof Menschen Mülltonnen nach Essbarem absuchen.
Das Spektrum an schwulen Zeitschriften, das ich in den Cafés entdeckte, beeindruckte mich. Alles war hier facettenreicher und farbiger als bei uns.
Born to be free!
Nach zwei Wochen wagte ich ohne Heinz weiter zu trampen. An der Küste entlang erreichte ich Los Angelos, wo ich bei Transvestiten unterkam. Es ging melodramatisch zu unter diesen Männern, die sich jeden Morgen vor dem Spiegel in eine andere Existenz hinein entwarfen. Einmal wurde ich zu einer Hochzeit mitgenommen. Ein schwuler Pastor nahm zwei schrillen Gestalten das Versprechen ab, zusammenzubleiben, "bis dass der Tod uns scheidet". Wegen meiner rotblonden Haare wurde ich oft für einen Iren gehalten. Mancher nannte mich spontan "Patrick". Das gefiel mir und ich erfand mir eine neue Biographie. warum sollte nicht nach dem Krieg ein irischer Soldat meine Mutter geschwängert und sich dann aus dem Staub gemacht haben?
Als ich nach zwei Monaten über Boston, wo ich auf einer Landkommune einen prachtvollen "Indian Summer" kennengelernt hatte, wieder New York erreichte, war es Herbst geworden. Heinz hatte sich mit Recht sorgen um mich gemacht. Nicht nur in New Orleans, wo mich Polizisten im Französischen Viertel an die Wand gestellt und meinen Körper nach Waffen abgesucht hatten, war mir angst und bange geworden. Jetzt war ich stolz, mich mit so wenig Geld als Freak behauptet zu haben.
Als wir wieder in Köln gelandet waren und im Zug nach Westberlin zurückfuhren, war uns traurig zumute. Verglichen mit den Staaten erschien uns unser Deutschland seltsam klein und provinziell.