Einige Gedanken zu unseren sexuellen Problemen aus der Sicht Wilhelm Reichs. Zu seinem Leben siehe den folgenden Link: Wilhelm Reich - eine Biographie
I. Der Orgasmus-Reflex
Beim "Orgasmus-Reflex" handelt es sich um eine unwillkürliche Reaktion des Körpers, die nicht willkürlich erzwungen werden kann. Seine Intensität hängt von der Fähigkeit ab, im sexuellen Kontakt loszulassen und vom Zustand Deiner Muskeln. Eine bewegliche Muskulatur ermöglicht es der sexuellen Energie, sich über den ganzen Körper auszubreiten. Ist sie chronisch angespannt, bremst oder blockt sie die Lust ab. Je intensiver und umfassender sich die sexuelle Energie ausbreiten kann, umso größer ist der Genuss beim Höhepunkt. Dieser besteht darin, dass die zuvor aufgestaute und verteilte Energie wieder abfließen kann. Das Bewusstsein ist dabei ausgeschaltet.
II. Der Zusammenhang zwischen Charaktereigenschaften und Potenz
Im Wort "Potenz" steckt das lateinische Wort für "Können". Die Potenz sagt etwas aus über die Erfahrungsmöglichkeiten eines Menschen. Seine Impotenzprobleme wurzeln in Blockaden, die er sich im Laufe seines bisherigen Lebens erworben hat.
Wer keine sexuelle Erregung spürt, verfügt über einen starren Muskelpanzer, der das Strömen der sexuellen Energie verhindert.
Wer zu frühzeitigem Samenerguss neigt, leidet an einer Übererregung des vegetativen Nervensystems. Die Energie staut sich im Becken, statt den ganzen Körper zu erfassen und führt deshalb zu einer vorzeitigen Abreaktion.
Wessen Dödel zwar (chronisch) steif ist, aber trotzdem zu keinem befriedigenden Orgasmus kommt, leidet an der Unfähigkeit, sich dem Strom des sexuellen Empfindens hinzugeben und loszulassen.
Bereits diese wenigen Hinweise machen deutlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen sexueller Genussfähigkeit und den Charaktereigenschaften eines Menschen besteht. Wer die Lust ängstlich vermeidet, wirkt auch sonst starr und zwanghaft. Wer zu frühzeitigem Orgasmus neigt, hat keine Form gefunden, selbstbewusst und entspannt sich sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Am potentesten erscheint auf den ersten Blick der jederzeit Erektionsfähige. Seine Haltung gegenüber dem Leben ist herausfordernd, aggressiv und er verfügt über eine ausgebildete, aber zumeist angespannte Muskulatur. Wie ich später noch zeigen werde, ist ihm eine sexuelle Befriedigung oft nur dadurch möglich, dass er im sexuellen Kontakt seine angestauten, aggressiven Impulse auszuleben versucht.
III. Spannung und Entspannung
Wer Jogging macht oder Kraftsport betreibt, weiß, dass sich als Folge der gesteigerten Durchblutung der Muskulatur oft ein geiles Gefühl einstellt. Wir fühlen uns nach solchen sportlichen Aktivitäten potenter und haben nicht selten den Wunsch nach einer sexuellen Abreaktion. Trotzdem wirken "Muskelprotze" oft nur auf den ersten Blick erotisch anziehend und geil. Auf den zweiten Blick hat ihr Potenzgehabe etwas Kindlich-Auftrumpfendes. Manchmal wirken sie sogar Albern. Sie sind in einer Kraftpose erstarrt. In ihrem Bemühen, die Muskulatur aufzupumpen, haben sie übersehen, dass sie damit die Beweglichkeit und die Lebendigkeit der Muskulatur riskieren und einschränken. Wem das "Vergrößern" der Muskeln zum obersten Ziel geworden ist, handelt sich oft eine Körperhaltung ein, die im alltäglichen Umgang aufgesetzt und starr wirkt. Je fähiger die Muskeln eines Menschen sind, sich zusammenzuziehen, aber auch wieder auszudehnen, umso lebendiger wirkt er.
"Orgastische Zuckung"
Die orgastische Zuckung, die den Höhepunkt einleitet, entsteht aus einem Zusammenziehen und anschließendem Loslassen der Beckenmuskulatur. Durch dieses "Anspannen-Loslassen" entstehen die Stöße, die die sexuelle Energie intensivieren und über den ganzen Körper verteilen. Wird die Beckenmuskulatur, aus welchem Grund auch immer, chronisch angespannt, dann kommt diese Dynamik nicht in Gang und der Samenerguss muss oft unter großem Krafteinsatz erzwungen werden. (Beim "Aggressiv-Potenten" z.B., indem er diese Stöße künstlich erzeugt und sich in eine Art Wut hineinsteigert.)
IV. Lust, Angst und Aggression
Die Orgasmusfähigkeit eines Menschen hängt ab von seiner Fähigkeit zur orgastischen Zuckung. Die Anspannung bzw. Entspannung der Muskulatur löst gleichzeitig Empfindungen aus. Im warmen Whirlpool, wo sich unsere Muskeln entspannen, fühlen wir uns wohl, unsere Muskeln schlaffen ab. Wenn es uns friert, zieht sich unsere Muskulatur wie in Abwehr zusammen. Wir machen uns gegenüber einer unlustvollen Umwelt kleiner, ziehen uns quasi in uns selbst zurück. Sich-Entspannen, Begehren bzw. Rückzug, Abwehr sind Empfindungen gegenüber dem Leben, die mit einer bestimmten Muskelhaltung korrespondieren. Sind wir aufgedreht und lustig, dann teilt sich diese Schwingung dem Becken mit. Es schwingt nach vorne und ist körperlicher Ausdruck unserer lustvollen Haltung gegenüber der Welt. Haben wir Angst, dann kneifen wir unbewusst den Arsch zusammen. D.h. die Beckenmuskulatur wird angespannt, stoppt den Vorwärtsimpuls des Beckens und zieht es leicht nach hinten.
Nicht jede unserer lustvollen Zuwendungen zur Welt wird belohnt. So mancher, der uns Lust macht und damit unser Becken in Schwingung versetzt, versetzt uns einen Korb. Zurückgewiesen, können wir mit Aggressionen reagieren. In diesem Fall behalten wir die Vorwärtsbewegung des Beckens bei, aber die begleitenden Empfindungen haben gewechselt. Wir bedrängen den, der uns abweist, weiter, aber nicht mehr in lustvoller, sondern in aggressiver Haltung. Wir können aber auch frustriert reagieren. In diesem Fall bremsen wir denn Vorwärtsschwung unseres Beckens ab.
Nach diesen Einsichten können wir die Probleme unserer drei zuvor beschriebenen Charaktertypen schon präziser erfassen:
Der "zwanghaft Erstarrte" ist zu einem lustvollem Umgang mit der Welt, was immer auch das Risiko, enttäuscht zu werden, einschließt, nicht mehr in der Lage.
Der "Zwanghaft -Sensible" hat zwar noch Kontakt mit seinen Sehnsüchten, aber eine (unbewusste) Angst lähmt ihn, diese seine Glücksansprüche vital einzufordern und Aggressionen zu zeigen oder zu riskieren. Der Softie hofft, dass seine "Sanftheit" durch Zuwendung belohnt wird.
Der "Potent-Aggressive" fordert zwar die Welt heraus. Er hat aber den Zugang zur sexuellen Strömung verloren, die nur bei einem Loslassen und Sich-Hingeben die Peripherie des Körpers erreichen kann. Sein Schwanz ist zwar meistens steif, kommt aber nicht in Schwingung. Befriedigung kann er nur dadurch erzielen, dass er seinem Kolben eine andere Bedeutung gibt und ihn quasi als "Waffe" zur Durchsetzung aggressiver Impulse nutzt. Entsprechend wird der Partner behandelt.
Nicht selten fühlt sich der "Zwanghaft-Sanfte" vom "Potent-Aggressiven" angezogen, da er ihn um seinen kraftvollen Zugang zur Welt beneidet. Er hofft, von ihm rauschhaft überwältigt zu werden.
V. Sexuelle Erregung und Körperblockaden
Die Basis des sexuellen Erlebens ist die unwillkürliche Zuckung. Sie beruht auf der Fähigkeit des Muskels, sich auszudehnen und wieder zusammenzuziehen. Dieses Ineinander von Expansion und Kontraktion, also die Bewegungsfähigkeit, ist das Kennzeichen alles Lebendigen. Beim Menschen kommt hinzu, dass diese Bewegung (Das lateinische Wort "Emotion" bedeutet "sich hinausbewegen") gekoppelt ist mit Empfindungen. Wir haben den Wunsch, zu verströmen, zu verschmelzen, also zu expandieren. Und wir machen uns in Angst und Panik klein, was mit einer Anspannung und Kontraktion der Muskeln einhergeht. Deshalb geben der Zustand und die Beweglichkeit unserer Muskulatur Auskunft über unseren emotionalen Zustand und über nicht zugelassene bzw. abgeblockte Konflikte.
Das eine Extrem verkörpert der "schlaffe Mensch". Er hat auf jede Form von Eigenständigkeit verzichtet und muss zu allem gezwungen werden. Entsprechend schlaff fühlen sich seine Muskeln an.
Das andere Extrem verkörpert der "Zwangscharakter". Er verfügt über einen ausgebildeten Muskelapparat, der oft an einen Panzer erinnert. Seine Muskeln sind chronisch angespannt.
Im folgenden werden vor allem die Körperblockaden aufgeführt, die die sexuelle Genussfähigkeit einschränken.
Kopfbereich:
• Der Kopf läßt sich in zwei Bereiche unterteilen, die voneinander unabhängig sind.
• Augen und Stirn geben alle Emotionen unmittelbar wieder. Werden Emotionen abgeblockt oder zurückgehalten, dann wirken die Augen tot, dumpf oder kalt. Auch die Stirn hat ihre Beweglichkeit eingebüßt.
Du kannst Dich von Deiner emotionalen Beweglichkeit in diesem Bereich überzeugen, indem Du die folgenden zwei Reaktionsweisen versuchst:
Bemühe Dich,
a) heftig die Stirn zu runzeln.
b) weit die Augen aufzureißen.
Fällt Dir das schwer, hast Du irgendwann einmal gelernt, Ärger oder Erschrecken abzublocken und nicht im Außen sichtbar werden zu lassen.
Die Beweglichkeit des Mundes gibt Auskunft über Deine Genussfähigkeit. Wer gelernt hat, sich (scheinbar unerfüllbare) Wünsche zu verkneifen, hält den Mund (unbewusst) in Anspannung. Meist werden die Lippen zusammengepresst oder der Mundausdruck wirkt verkniffen.
Ein solcher Mensch kann weder herzhaft lachen noch herzhaft weinen. Beide Emotionen setzen eine freie Beweglichkeit des Mundbereichs voraus.
(Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat offenbar schon als Kind lernen müssen, drohende Tränen durch Herabziehen ihrer Mundwinkel abzublocken.)
Halsbereich:
- Die Blockaden im Halsbereich verrät die Zunge. Ihre Beweglichkeit wird durch Muskeln gesteuert, die an den Halswirbeln ansetzen. Schluckt man zu viel herunter oder lässt man Ekel oder Aggressionen nicht aufsteigen, dann sind diese Muskeln angespannt oder haben sich verkürzt. Ein solcher Mensch ist nicht mehr fähig, genussvoll zu küssen.
Ob und welche Emotionen in diesem Bereich blockiert sind, erfährst Du, wenn Du einen Finger in den Hals steckst und einen "Würge-Reflex" erzeugst. Du bist dann meist nicht nur mit einem Brechreiz, sondern mit einem ganzen Bündel von Emotionen konfrontiert.
Schulterbereich:
- die Versteifung der Schulter kann auf zwei Weisen erfolgen. Der chronisch Ängstliche blockt den Brustraum ab, indem er die Schultern leicht nach vorne zieht. Er ist unfähig, kräftig auszuatmen.
Der chronisch Stolze kann den Schmerz und die damit einhergehende Erschütterung des Brustkorbes nicht zulassen und zieht deshalb die Schultern leicht nach hinten. Trotzig verweigert er sich der Welt und riskiert nur in aggressiven Ausbrüchen eine Erschütterung seiner Brust.
Wie viel Emotionen Du in Deinem Schulterbereich abgeblockt hast, erfährst Du durch folgende Übung:
Knie Dich auf den Boden. Beuge Dich vor und strecke die Arme möglichst weit nach vorne. Diese Haltung führt zu einer (Über)Dehnung der Schultermuskulatur. Die festgezurrten Muskeln können ihre gewohnte Stellung nicht mehr beibehalten und fangen an, zu zittern. Oft werden blockierte Emotionen wie Aggression oder Traurigkeit freigesetzt.
Zwerchfell:
- Die wichtigen Emotionen des Weinens oder Lachens laufen über das Zwerchfell. Wer dort blockiert ist, ist in seinem Erleben elementar eingeschränkt. Er kann weder herzhaft lachen noch herzhaft weinen. (Die Schwingungen Im Zwerchfell übertragen sich unmittelbar auf den Brustraum und damit auf das Herz. Wer im Zwerchfell entspannt ist, hat meistens auch keine Herzbeschwerden.)
Beim Lachen oder Weinen gibt das schwingende Zwerchfell seine Impulse an den Brustraum weiter. Deshalb fühlen wir uns entspannt, wenn wir intensiv gelacht oder geweint haben.
Diese Elementarkraft des Beckens wirst Du gespürt haben, wenn Du versucht hast, den Würge-Reflex auszulösen. Der Körper reagiert dann mit einer gewaltigen Zuckung, die dem Orgasmusreflex ähnelt. Ist das Zwerchfell erstarrt oder wird es festgehalten, dann können die Impulse aus dem Becken nicht in die oberen Körperregionen vordringen. Selbst wenn es dann zu einem Orgasmus kommt, fühlt man sich hinterher traurig und öde. Die Blockaden im oberen Bereich werden durch den Orgasmus zwar gelockert und ein Teil der dort blockierten Stimmungen treten ins Bewusstsein, ohne dass sich eine tiefe Entspannung einstellt. Trotz Selbstbefriedigung fehlt die Erfahrung des Friedens.
Beckenbereich:
- Der chronisch Ängstliche hält sein Becken zurück und die Schließmuskeln seines Anus chronisch angespannt. Er ist deshalb nicht in der Lage, das Kacken zu genießen.
Du kannst Dich von der Beweglichkeit Deines Beckens durch folgende Übung überzeugen:
Stell Dich breitbeinig hin und schiebe Dein Becken so weit wie möglich nach vorne. Versuche diese Haltung lange beizubehalten. Wie bei der Übung für den Schulterbereich wird diesmal eine Überdehnung der verkürzten Oberschenkelmuskulatur provoziert und damit dem Körper nicht mehr erlaubt, die gewohnte Abwehrhaltung beizubehalten. Die überdehnten Muskeln reagieren darauf mit einem Zittern. Die dort blockierten Emotionen werden freigesetzt.
VI. Ansatzpunkte einer Verbesserung der sexuellen Erlebnismöglichkeiten
Die Selbstbefriedigung ist kein schlechter Weg, um seinen Körper näher kennenzulernen und die eigenen Empfindungsmöglichkeiten zu erweitern. Da die meisten von uns die Energie im Becken festhalten, ist es sinnvoll, beim Wichsen Stellungen einzunehmen, die es dem Becken erlauben, frei zu schwingen. Du kannst Dich z.B. auf den Boden legen und die Beine hochlagern.
Menschen mit der Neigung, sich etwas zu verkneifen, pressen beim Stehen oder Sitzen gerne die Beine zusammen. Sind die Beine hochgelagert und das Becken leicht vom Boden abgehoben, ist damit schon Spielraum für die Lust entstanden.
Eigentlich wolltest Du Dir einen runterholen. Doch Du spürst in dieser Stellung, Aggressionen oder Traurigkeit aufsteigen. Auch Ärger kann Dich überwältigen. Du hast die Jagd nach Sex satt. Es stinkt Dich an, in Dunkelräumen um Sex betteln zu müssen. Wenn Du mit solchen Empfindungen konfrontiert bist, dann ist es dieser Körperstellung bereits gelungen, Deine "Vernünftelei", mit der Du Dich vor Enttäuschungen schützt, zu unterlaufen. Beschleunigt melden sich Empfindungen, wenn Du auch noch die Arme nach hinten legst, weil damit Deine Schulterblockaden unterlaufen werden.
Manchen Männern ist es peinlich, mit ihren Gefühlen konfrontiert zu sein. Sie versuchen oft durch heftiges Wichsen (seelische) Spannung abzubauen. Es kann aber auch sein, dass Du im Bauch einen Schmerz spürst und dieser sich auf Dein Herz und den Brustbereich ausdehnt. Es wird Dir Deine Einsamkeit bewusst. Dein ungestilltes Verlangen nach Rausch, Wärme und Nähe. Egal, ob sich Deine Aggressionen oder Deine Depressionen oder Deine Sehnsüchte zu Wort melden: wichtig ist, dass Du Deinen Empfindungen Raum gibst. Sie haben jetzt die Möglichkeit, Deinen ganzen Körper auszufüllen.
Da die Zensur unserer Empfindungen, die wir tagtäglich betreiben, nicht zuletzt über den Atem erfolgt, kann man diese Zensur unterlaufen, indem man sich auf ein tiefes Ausatmen konzentriert. Wenn Aggressionen blockiert sind, löst das manchmal ein wütendes Schnauben aus. Wurde Schmerz unterdrückt, kann es zu einem Wimmern oder Stöhnen kommen. Vielleicht beginnt Deine Brust zu zittern. Dein Mund fängt an, zu zucken. Es kann zu Herzrhythmusstörungen kommen.
Männer lernen nicht selten, sich durch Selbstbefriedigung vor überwältigenden Gefühlen zu schützen. Falls Du jetzt diesen Wunsch verspürst, versuche weiter im liebevollen Kontakt mit Deinem Körper zu bleiben. Bedrückend wird es, wenn Du diese Angelegenheit wie eine von Dir abgehobene Sache hinter Dich zu bringen versuchst. Du wirst dann diese Haltung auch im sexuellen Kontakt mit anderen beibehalten. Dieser "kalte" Umgang mit der Lust wurzelt in einer tiefen Enttäuschung, was das Vertrauen in andere betrifft. Du hattest offenbar als Kind keine andere Möglichkeit gefunden, Dich vor seelischen Verletzungen zu schützen. Dieses Erstarrt sein kannst Du nur überwinden, wenn Du Dich selbst als ein armes, zu kurz gekommenes Kind begreifen lernst und mütterliche Gefühle für Dich entwickelst.
Nehmen wir an, wir haben der Versuchung, jetzt schon abzuspritzen, widerstanden. Dies gelingt leichter, wenn Du es vermeidest, den erregten Schwanz anzufassen. Vielmehr solltest Du Deine Hände benutzen, Deinen Lustbolzen in Schwingung zu versetzen und die Erregung über den Schwanz hinaus auf Deine Oberschenkel auszudehnen. Wichtig dabei ist, Deine Form des Spielens zu finden. Techniken können dabei durchaus helfen.
So benutzen einige Wäscheklammern zur Stimulation der Brustwarzen. Der dadurch ausgelöste Schmerz und die durch ihn provozierte heftige Blutzirkulation wirken auf das vegetative Nervensystem. Nicht wenige von uns sind durch die tägliche Anspannung (der Muskulatur) nervlich überreizt und können deshalb beim Sex nicht loslassen. Steigert man durch schmerzhafte Stimulation der Titten oder durch das Herz-Kreislauf-Mittel "Poppers" die Blutzirkulation, dann bricht für Momente diese nervöse Übererregung in sich zusammen und tiefer liegende Erregungsströme können durchbrechen. Durch die Überflutung des Gehirns mit Blut kannst Du für Augenblicke keinen klaren Gedanken fassen und damit bricht Deine rationale Selbstkontrolle für kurze Zeit zusammen. Das Triebhafte in Dir wittert Morgenluft!
Viele wagen dann plötzlich, die Sau raus zulassen. Aber auch diese, durch technische Hilfsmittel provozierten Geilereien leben, was ihre Intensität anbelangt, letztlich von der allgemeinen Beweglichkeit Deiner Muskeln. Du kannst durch solche Hilfsmittel zwar sexuellen Rausch erzeugen. Aber oft meldet sich in der Stimmung danach Deine wirkliche Befindlichkeit zu Wort. Sie besteht bei nicht wenigen von uns in dem Gefühl von Öde und Traurigkeit. Dieser eher deprimierende Nachklang provoziert nicht selten die Frage, ob sich denn die Jagd nach dem bisschen Befriedigung überhaupt lohnt.
Es erscheint dann fast vernünftiger, die eigenen Sehnsüchte unter Kontrolle zu halten und sich damit vor Enttäuschungen zu schützen. Damit riskierst Du es, den Kontakt zu Deinen tieferen Empfindungen zu verlieren. Mit dieser "Vernunfthaltung" bringst Du Dich um ein Stück Lebendigkeit. Statt Dich als lebendig zu erleben, musst Du Deine Lebensenergie für die Aufrechterhaltung Deiner muskulären Panzerung einsetzen. Es kostet viel Kraft, immer und überall die Arschbacken zusammenzukneifen.
Suchen wir nach weiteren Spielmöglichkeiten: Manchen erscheint es zu banal, sich mit seinem Arschloch zu beschäftigen. Er träumt von Liebe und in diesem Weltbild beginnt der "eigentliche Mensch" erst oberhalb der Gürtellinie. Diese Verlagerung der Aufmerksamkeit nach "oben", in scheinbar höhere und kultiviertere Regionen, übersieht, dass die sexuelle Energie im Becken wurzelt. Jedes Ignorieren dieser Region und ihre Einschätzung als minderwertig verhindert in einer Liebesbeziehung ein tiefes Loslassen. Häufig ist es ein Zeichen von Resignation, wenn man in Liebesbeziehungen zunehmend auf sexuellen Rausch verzichtet und allein auf seelische Vertrautheit setzt. Es ist den Beteiligten nicht gelungen, sich jene fröhliche Unbefangenheit zurückzuerobern, wie sie Kinder oft auszeichnet.
Das waren keine Rezepte für den Umgang mit Deinem Körper. Vielmehr sollten Dich diese Hinweise anregen, ihn kreativ zu erkunden.
VII. Der idealtypische Verlauf der sexuellen Erregung
Beim Orgasmusreflex lassen sich deutlich zwei Phasen unterscheiden. In der ersten geht es - wie es im Männerjargon heißt - um das "aufgeilen". Also darum, die sexuelle Energie freizusetzen und ihre Dynamik zu steigern, indem immer mehr Körperbereiche in den Strom der Erregung einbezogen werden. Dies geschieht umso leichter und schneller, je mehr der Körper in Schwingung gerät. Ekstase ähnelt eher einem Tanz als einem technischen Verfahren zur Herstellung eines Samenergusses.
Kennzeichen der 2. Phase ist, dass man sie nicht mehr beliebig unterbrechen kann. Während man beim Aufgeilen flirten, aber auch Ruhepausen einlegen, sich durch den Rhythmus unterschiedlicher Musikstücke beeinflussen lassen kann, gibt es einen Grad der Erregung im Becken, der eine Unterbrechung oder weitere Verzögerung nicht mehr zulässt. Die Muskelzuckungen und Stöße des Beckens lassen sich dann nicht mehr unterbrechen, ohne dass es zu nervöser Überreizung oder Krämpfen kommt. Schwanz wie Beckenmuskulatur reagieren in diesem Fall schmerzhaft.
Vielen ist ein Aufgeilen wichtiger als ein schneller Samenerguss. Ein befriedigender Orgasmus verlangt aber in der 2. Phase ein Loslassen, eine Ausschaltung des Bewusstseins und die Haltung der Hingabe. Viele blockieren unbewusst das Erreichen der 2. Phase. Durch diesen (heimlichen) Widerstand wird der Kontakt anstrengend. Keiner wagt, dem anderen mitzuteilen, dass man in erster Linie das Aufgegeilt werden genießen möchte. Manche wagen erst loszulassen, wenn der andere abgespritzt hat. Diese Schwierigkeiten, die durch Unsicherheit und Rücksichtnahme entstehen, zeigen, dass es auch bei "anonymen Sex" meist nicht so kalt zugeht, wie es ein gängiges Vorurteil nahelegt.
Diese Sicht verdanke ich Wilhelm Reich. Er kam kurz vor der Jahrhundertwende (1897) in einer jüdischen Familie in Galizien auf die Welt. Er studierte in Wien Medizin und wurde Arzt. Als Student schloss er sich dem Kreis um Siegmund Freud an. Er lebte ab 1929 in einer Künstlerkommune am Breitenbachplatz in Friedenau/Westberlin. In seiner Sexpol-Zeitschrift ermunterte er Arbeiter, offen von ihren Potenzproblemen zu sprechen. Zwielichtig wurde er sowohl der Internationalen Psychoanalytischen Gesellschaft wie der Kommunistischen Partei Deutschlands. 1934 wurde er von beiden Vereinigungen ausgeschlossen. Reich ging in die USA ins Exil und starb dort 1957 in einem Knast an Herzversagen. Obwohl er homosexuelles Verhalten als Neurose verurteilt hat, würde er es sicher mit Humor hinnehmen, wenn seine Vorstellungen Eingang in das Denken der Schwulenszene finden. Auch wenn wir unsere sexuelle Orientierung anders als er bewerten, verdient dieser produktive Denker unseren Respekt.
Als Anarchist beanspruche ich kein Eigentumsrecht an meinen geistigen Produkten. Wenn Du aber damit Geld machst, lass mich an diesem Geldsegen teilhaben.