Ich bin ein Kriegskind und wurde im November 1944 geboren. Schon kurz nach dem Einsetzen der Wehen hatte meine Mutter ihr Fruchtwasser verloren. Sie brauchte quälende acht Stunden, um mich auf die Welt zu bringen. Durch die große Anstrengung hatten sich ihre Brustwarzen entzündet. Sie konnte mich nicht stillen. Ich bekam Kuhmilch, die ich anfangs erbrach. Eine Magen-Darm-Grippe grassierte. Viele Säuglinge starben. Ich gehörte zu den wenigen, die überlebt haben.
Wie solche Versagungen unseren Charakter formen
Ein Baby, das zufrieden an der Mutterbrust nuggelt, wirkt glücklich. Ein wohliges Stöhnen ist zu hören. Wellen der Erregung durchziehen den kleinen Körper. Wem diese Möglichkeit versagt ist, der lässt nach einer Weile die Sehnsucht nach der Mutterbrust gar nicht erst aufsteigen. Das gelingt dem Baby, wenn es die Lippen fest zusammenpresst. Auch lässt sich der Wunsch, zu nuggeln, durch ein Starr-Stellen des Kiefers unterdrücken. Weil ich mir eine schöne Erfahrung verkneifen musste, zeigte ich schon früh einen Zug zur Verkniffenheit. Er war um den Mund herum augenfällig.
Vielleicht hat mich deshalb mein Freund Rufus mit seinen vollen, sinnlichen Lippen angezogen. Sicher hat er die Mutterbrust genießen können. Am liebsten tollte er nackt durch die Gegend. Als er dazu die Nachbarskinder animierte und damit den Protest ihrer Eltern provozierte, bekam er Prügel. Immer wieder wurde der eigensinnige Junge von seinem Vater übers Knie gelegt. In Abwehr kniff er die Arschbacken zusammen.
Bei dem Erwachsenen entdeckte der Arzt Feigwarzen. Sie siedeln sich gerne in chronisch angespanntem Gewebe an. Rufus starb im Alter von vierzig Jahren an Darmkrebs. Seine Verkniffenheit war weit weniger offensichtlich als die meine.
Wie frühes Leid unser Begehren beeinflusst
Nachdem ich mein Schwul sein akzeptiert hatte, machte ich mich auf die Suche nach einem Freund. Fand ich einen, fühlte ich mich sofort für seinen Orgasmus verantwortlich. Verbissen arbeitete ich mich im Bett ab. Ich wagte nicht, loszulassen. Zu entspanntem Sex war ich nicht in der Lage.
Wahrscheinlich zog es mich deshalb zu verträumten oder unbeschwert wirkenden, jungen Männern. Als ich von den Großstadt-Klappen hörte, reagierte ich schroff-ablehnend. Bei dem Gedanken, auf einem stinkenden Klo Sex zu machen, empfand ich Ekel. Erst Jahre später geriet ich an einem schwülen Sommernachmittag in den Bann einer dieser Toiletten. Nach einer Weile empfand ich den Mief sogar als angenehm. Die Wand der Kabine war durchlöchert. Im schummerigen Licht erspähte ich drüben ein Stück brauner Haut. Ich schloss die Augen und nuggelte an dem, was mir von dort zugeschoben wurde.
Zurück im Freien rebellierte mein Gewissen und machte mir Schuldgefühle. Aber mein Körper hatte Appetit bekommen und ich wurde klappensüchtig. Selbst als ich zweimal zusammengeschlagen wurde, war der Bann nicht gebrochen. Die Klappe wurde mein Weg, einen liebevolleren Umgang mit mir selbst zu lernen.
Auch Rufus Entdeckung der Lust verlief nicht ohne Schmerzen. Auf Mallorca kam er wegen Drogenbesitz in den Knast. Ein Araber machte den femininen Oberschüler zu seinem Liebchen. Wenn er ihn durchfickte, tat es sehr weh. Nach solchen Erfahrungen ging Rufus lieber in die Knie, um den anderen zu verwöhnen, statt den Arsch hinzuhalten. So bremsen früh erlittene Verletzungen, ohne dass wir es ahnen, unsere Leidenschaft.