Meine Politisierung verdanke ich Bertolt Brecht. Eine Auswahl seiner Gedichte lernte ich in den sechziger Jahren auf dem Gymnasium in bayrischen Dinkelsbühl kennen. Sein Gedicht mit dem Titel "erinnerung an die marie a." hat mich bis heute begleitet.
Erinnerung an die Marie A.
an jenem tag im blauen mond september,
still unter einem jungen pflaumenbaum,
da hielt ich sie, die stille zbleiche liebe
in meinem arm wie einen holden traum.
und über uns im schönen sommerhimmel
war eine wolke, die ich lange sah.
sie war sehr weiß und ungeheuer oben
und als ich aufsah, war sie nimmer da.
seit jenem tag sind viele, viele monde
geschwommen stilll hinunter und vorbei.
die pflaumenbäume sind wohl abgehauen
und fragst du mich, was mit der liebe sei?
so sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern
und doch, gewiss, ich weiß schon was du meinst.
doch ihr gesicht, das weiß ich wirklich nimmer.
ich weiß nur mehr: ich küsste es dereinst.
und auch den kuss, ich hätt ihn längst vergessen,
wenn nicht die wolke dagewesen wär.
die weiß ich noch und werd ich immer wissen.
sie war sehr weiß und kam von oben her.
die pflaumenbäume blühn vielleicht nocht immer
und jene frau hat jetzt vielleicht das siebte kind.
doch jene wolke blühte nur minuten
und als ich aufsah, schwand sie schon im wind.
Zum persönlichen Hintergrund des Gedichts
Bert Brecht verbrachte seine Jugend in Augsburg. Dort auf dem Plärrer, einem großen Platz mitten in der Stadt, traf sich nach dem Unterricht die Schuljugend. Rosa Maria Amann bekam deshalb hautnah mit, wie Brecht allen attraktiven Mädchen nachstellte. So schwängerte er in dieser Zeit die siebzehnjährige Paula Banholzer. Der zwanzigjährige Brecht schlug dem Vater eine Heirat vor, was dieser aber ablehnte. Frühjahr 1919 brachte Paula auf dem Land einen Sohn zur Welt. Da Brecht Frank Wedekind bewunderte, wurde er auf den Namen "Frank" getauft.
Neben Paula begann Brecht auch ein Verhältnis mit der vier Jahre älteren Marianne Zoff, die er 1922 heiratete. 1923 ging er nach Berlin und begann dort sofort ein Verhältnis mit Helene Weigel. Sie brachte 1924 ebenfalls einen Sohn zur Welt.Erst 1929 ließ sich Brecht scheiden und heiratete Helene Weigel. Für seine Mitarbeiterinnen Elisabeth Hauptmann und Marieluise Fleißer, zu denen er ebenfalls eine erotische Beziehung hatte, war es eine tiefe Verletzung.Sie antworteten mit einem Selbstmordversuch.
Brecht war nicht nur ein erfolgreicher Frauenheld. Er wusste sich in seinem Beziehungschaos auch gewitzt zu behaupten. Dank seines Gedichts ging seine flüchtige Begegnung mit der Marie A. in die Literaturgeschichte ein. Das Gedicht wurde 1925 zum ersten Mal in einem Privatdruck seiner "Hauspostille" veröffentlicht.