SM als Chance sexueller Emanzipation und Selbstentdeckung?

Am 12. Februar sprach Robin Bauer im Antisexistischen Info-Laden in Neukölln. Was er ankündigte, klang recht verheißungsvoll: Die transqueere BDSM-Szene als der neue Ort sexueller Freizügigkeit und Selbstentdeckung.

"Was die Biologie erzählt ist einfach völliger Bullshit."

Dieses Zitat aus meiner empirischen Forschung zu lesbisch/trans/queerem BDSM verdeutlicht den Umgang mit Geschlecht in dieser Community: Geschlecht wird dort im Rahmen von Rollenspielen zum Experimentieren freigegeben. Das Spielen mit Geschlecht ist eine beliebte Praxis, für manche sogar der wesentliche Kick der eigenen SM-Praxen. Basierend auf der Analyse von Interviews, die ich mit Mitgliedern dieser Communitys aus Europa und den USA geführt habe, stelle ich anhand von Beispielen dar, auf welche vielfältige Art und Weise Geschlecht zum Lustgewinn genutzt und dabei erforscht, erweitert, reproduziert, neu erfunden und verqueert wird. Ferner gehe ich den Fragen nach, warum bestimmte BDSM-Szenen als soziale Räume besonders geeignet sind, um herrschende Vorstellungen von Geschlecht zu verque(e)ren, wie dies konkret stattfindet, und inwiefern die im Spiel erarbeiteten queeren Geschlechterentwürfe in das Alltagsleben übertragen werden können.

Lieber Robin,

hier meldet sich noch einmal der blinde Mann von der samstäglichen Diskussion. Deine "sadistische Aura", die im Laufe des Vortrags leider allmählich verblasste, hat mich noch lange beschäftigt. Vor fünfundzwanzig Jahren war sie mir auch bei Männern aus der hetero-S/M-Szene aufgefallen und ich fand sie erotisch reizvoll. Sie waren gezwungen, Frauen durch ihre Ausstrahlung zu gewinnen, und es genügte in ihrer Szene nicht, wie -etwa im Schwulenmilieu- eine bestimmte sexuelle Variante im Outfit zu verkörpern. In der Schwulenszene konnte sich S/M sehr schnell als eine Art Handwerk etablieren und inzwischen kann man sich z.B. bei Quälgeist in allen Varianten von Bondage bis zu Würgen qualifizieren lassen.

Was für die Homosexualität gefordert und auch durchgesetzt wurde: Dass sie weder erklärt noch moralisch gerechtfertigt werden muss, diese Freiheit fordert jetzt auch die S/M-Szene für sich. Da in Deutschland vor allem von den Kirchen mit Widerspruch zu rechnen ist, gibt es bei uns wenig Kontakte zwischen SM-Szene und spirituellen Gruppen. Das habe ich auf meinem USA-Trip anders und farbiger erlebt.

Aber über welche Freiheit verfügt ein Sadist?

Dass er das Gewalttabu nicht akzeptiert und Gewalt als Medium zwischenmenschlicher Kommunikation einzusetzen wagt, da sie ja auch auf Gegenseitigkeit erfolgt?

Dass Schmerz entspannend und lustfördernd wirkt, ist unbestritten. Aber diese Einsicht erklärt noch nicht, warum wir uns (das scheint die Mehrheit in der SM-Szene zu sein) so gerne quälen lassen. Nur in einer von Zwängen beherrschten Welt kann der Sadist zum erlösenden Engel werden. Aber ist es nicht eine Not-Lösung und wer hält uns so gefangen, dass wir nach dieser Befreiung hungern?

Ich muss in diesem Zusammenhang immer an Michel Foucault oder Piero Pasolini denken. Beides waren brillante Intellektuelle, die aber die schmerzhafte Überwältigung brauchten, um zumindest auf Zeit das Bewusstsein verlieren und ganz Körper sein zu können. Da versteckt sich auch eine Tragik und ein Stück seelischer Unfreiheit.

Dein positiver Kommentar, dass es sich "nur" um ein Spielen mit Identitäten handelt, enthält die halbe Wahrheit. Weil die Schmerzzufügung unterschlagen wird, lässt sich das Ganze Spiel als Emanzipation mit therapeutischer Wirkung wissenschaftlich verkaufen. Verdrängt wird die Frage, warum jetzt ausgerechnet auch noch Frauen "männliche Gewalt" verkörpern wollen.

Weibliche Gewalt gab es schon immer in stilisierten Varianten. Ich denke an die katholischen Schulschwestern meiner Mutter, die die Haare ihrer Schüler/innen so brutal zwirbelten, dass die Kinder vor Schmerz aufschrien. Aber die "brutalen Ohrfeigen" hatte der zu Hilfe gerufene Pfarrer zu erteilen. Jetzt wollen sich also auch Frauen in einem den Männern bisher vorbehaltenen Refugium bewähren. Warum?

Um mit Gudrun Enslin zu antworten: Weil durch die Gewaltausübung eine "Selbstheiligung" erfolgt? Unsere Sehnsucht nach Militanz verhalf dem Kleinkriminellen Andreas Bader zu Macht und Einfluss. Nicht nur die Softies Holger Meins und Jan-Carl Raspe waren bereit, zu verrohen, um endlich als "Gewalttäter" neu geboren zu werden. Der Zusammenhang zwischen Gewaltkult und Religiosität lässt sich nicht ignorieren.

Warum können wir nicht mehr "einfach nur lieben"?

Ich bin eine Zeitlang als passiv-devote Sau durch diese Szene gewandert. In dieser Rolle war ich nicht mehr für den Orgasmus meines "Peinigers" verantwortlich und konnte beim Sex endlich loslassen. Ich traf nicht wenige Sklavinnen mit demselben Bedürfnis. Wir waren uns einig, in diesem Spiel als Unterwürfige den psychologisch überlegeneren Part zu haben. Der Meister musste die Situation dominieren und entlarvte sich oft als täuschbar und einfallslos. So manche erfolgreiche Frau suchte diesen Kick, um wenigstens für Momente aus der Anstrengung in ein beglückendes Vergessen zu kommen.

Warum finde ich Deine sadistische Ausstrahlung weiter reizvoll, obwohl ich weiß, dass durch Sadisten hilflosen Opfern so viel Leid zugefügt wird?

Es ist ein Nachdenken über unsere Abgründe angesagt.

LG Daniel

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