Das Mädchen und der Junge...

Angela Merkel und Guido Westerwelle - Betrachtungen zu einem seltsamen Zwei-Gespann

 

Ein-Stimmung:

Ich wäre gerne als kleine, graue Maus dabei gewesen, als (vor unendlich langer Zeit) Angela und Guido das "Du" vereinbart haben. Wahrscheinlich waren sie angeheitert. Sicher hat Guido wieder einmal mit seinen vielen Geschichten geprahlt und Angela durch boshafte Zwischenrufe für Lacher gesorgt. Trotzdem muss es zwischen den beiden sofort eine spontane Sympathie gegeben haben.

Jeder der beiden ist ein Arbeitstier und ehrgeizig. Beide wissen, programmatisch zu denken, und besitzen Organisationstalent. Beide haben Machtinstinkt bewiesen und wussten und wissen Konflikte und Spannungen in ihrem Umfeld zu nutzen. Beide waren und sind Außenseiter, die trotz ihres imposanten Aufstiegs Einzelgänger geblieben sind.

 

Angela Merkel - das Mädchen

angela-merkel_kindUnbestritten ist Angela Merkel die facettenreichere und spannendere Erscheinung. Ihr Vater war aus Begeisterung für den Sozialismus von Hamburg in die DDR übergewechselt. Trotzdem wurde die Pastorenfamilie nicht freundlich aufgenommen. Schon das kleine Mädchen bekam das feindliche Klima schmerzhaft zu spüren. So sehr sich Angela in der Schule auch anstrengte und durch gute Leistungen glänzte, gelobt und belohnt wurden immer nur die Kinder der (wirklich) Linientreuen. Mit herabgezogenen Mundwinkeln versuchte das Kind, gegen die drohende Flut der Tränen anzukämpfen.

Gleichzeitig machten diese bitteren Erfahrungen aus ihr einen wachen, zähen und eigensinnigen Menschen. Sie litt unter dem moralischen Übereifer ihres Vaters und fand in den Naturwissenschaften eine Welt, die frei von ideologischen Vereinnahmungen schien.

 

 

 

 

Durch die Hintertür in die Politik

Näheren Kontakt zur DDR-Opposition suchte die promovierte Physikerin offenbar Erst in der Wendezeit. Die in einer Denkfabrik in Adlerhorst arbeitende Wissenschaftlerin, die einmal zur FDJ-Sekretärin gewählt worden war, wurde in dieser Zeit des Umbruchs für "politische Aktivitäten" freigestellt. Dieses Engagement wäre Episode geblieben, hätte nicht ein tonangebender Kopf der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung das ihr angebotene Ministeramt in der neuen, gesamtdeutschen Regierung abgelehnt. So kam Helmut Kohl zu seinem "Mädchen", das ihm in ihrer Mischung aus verhemmt und tüchtig sofort sympathisch war.

Selbst den Vertretern der Umweltgruppen, die von der neuen Regierung nichts Gutes erwarteten, nötigte die neue Ministerin Respekt ab. Sie suchte den Kontakt zu ihren Kritikern und überzeugte bei den Treffen durch ein enormes Fachwissen. Den Sprung von Kohls Vasallin zur Rebellin wagte sie, als sie in einem offenen Brief den Bundeskanzler aufforderte, die Geldgeber illegal erfolgter Parteispenden an die CDU preiszugeben. Wie einst das Bauernmädchen Johanna von Orléans dem entmutigten, französischen König zu Hilfe kam, so wurde in dieser schweren Krise der Unionsparteien die streng wirkende Pastorentochter aus dem Osten für die verstörten Konservativen zur neuen Hoffnungsträgerin.

 

Guido Westerwelle - der Junge

westerwelle2Angela Merkels Kindheit und Jugend litten unter den ständigen Auseinandersetzungen mit einem autoritären und kirchenfeindlichen Regime. Solche demütigenden Erfahrungen blieben Guido Westerwelle, der im Dezember 1961 als Sohn eines Rechtsanwalts in Bad Honnef auf die Welt kam, erspart. Er trat 1980 in die FDP ein, als die Bundesrepublik langsam begann, sich von den Schrecken des linken Terrorismus zu erholen. 1983 provozierten Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion die "Wende", als sie Helmut Schmidt das Vertrauen verweigerten und die Wahl Helmut Kohls zum neuen Bundeskanzler möglich machten. Dieser "Verrat" sorgte bei den Liberalen für heftige Auseinandersetzungen und viele verließen die Partei.

In dieser schweren Krise der FDP gründete Guido Westerwelle mit Freunden die "Jungen Liberalen" (JuLi).Von 1983 bis 1988 war er ihr streitbarer Bundesvorsitzender. Die "jungen Wilden" kritisierten die bisherigen Funktionäre der Nachwuchsorganisation, die die "Wendehälse" unkritisch unterstützt hatten. Westerwelle sprach von "lammfrommen Erfüllungsgehilfen".

Die "Jungen Liberalen" lehnten das von der Kohl-Regierung geplante Amnestie-Gesetz für Steuersünder ab. Sie suchten die Auseinandersetzung mit den Grünen und warben in der Partei für das Konzept einer ökologischen Marktwirtschaft. Ermutigt durch die jüngere Generation wagten plötzlich Teile des Wirtschaftsflügels, sich kritischer zur Kernenergie und den nicht absehbaren Folgekosten zu äußern. 1988 wurde der 27-jährige in den Bundesvorstand der FDP gewählt. Quasi nebenbei schaffte der "jugendliche Berufspolitiker" das arbeitsintensive Jurastudium, das er 1987 mit dem 1.Staatsexamen abschloss. Die aufregende Zeit nach dem Mauerfall nutzte er, um sein 2.Staatsexamen zu machen. 1991 eröffnete er in Bonn ein Rechtsanwaltsbüro. Er begann ein Fernstudium, das er 1994 mit dem Dr. jur. abschloss.

 

Rückkehr in die Politik

Helmut Kohl hatte innerhalb eines Jahres gegen den (latenten) Widerstand der Engländer und Franzosen die Wiedervereinigung ausgehandelt. Bei den ersten, gesamtdeutschen Wahlen wählte in der Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwungs eine ostdeutsche Mehrheit die Konservativen. Die westdeutsche Wirtschaft freute sich über die neuen Absatzmärkte und den Zuzug meist gut qualifizierter, jüngerer Arbeitskräfte. Produktionsbereiche im Osten, die zu einer Konkurrenz hätten werden können, konnten aufgekauft und stillgelegt werden.

Von der euphorischen Stimmung dieser Jahre profitierten vor allem die konservativen Parteien. Im Superwahljahr 1994 verlor die FDP in vielen Bundesländern Stimmen. Mit der Aufgabe, für frischen Wind zu sorgen, wurde auf einem Sonderparteitag im Dezember dieses Jahres in Gera Guido Westerwelle zum neuen Generalsekretär der Liberalen gewählt. Um dem Vorurteil entgegenzutreten, die FDP würde sich nur um die besser Verdienenden kümmern, sprach er von der "Partei der Leistungsbereiten". Aber erst fünfzehn Jahre später wird sein Slogan "Leistung muss sich endlich wieder lohnen!" mit einem beeindruckenden Wahlerfolg belohnt werden.

Der neue Generalsekretär hatte seine Partei durch ein Tal der Tränen zu führen. 1995 scheiterte die FDP bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin an der Fünf-Prozent-Hürde. Erst im folgenden Jahr schöpfte man wieder Hoffnung, als der Wiedereinzug in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gelang. Westerwelle nutzte das neue Stimmungshoch und forderte die Abkehr von der "Gefälligkeitspolitik hin zu einer Verantwortungsgesellschaft". Er kritisierte die wachsende Staatsverschuldung und forderte eine Begrenzung staatlicher Transfer-Leistungen. Statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, sollten Niedriglöhne durch ein "Bürgergeld" aufgestockt werden. Den Koalitionspartner in Bonn ärgerte er mit der Forderung, den Solidarzuschlag abzusenken. Die Bundesregierung sollte endlich eine große Steuerreform wagen und die Wehrpflicht abschaffen. Für die Schulen, Hochschulen und andere berufliche Ausbildungsstätten verlangte er mehr Autonomie. Er forderte die Entmachtung der schwerfälligen Kultusministerkonferenz, die Reformen im Bildungsbereich eher behindern als vorantreiben würde.

 

Schärfung des liberalen Profils

Februar 1996 war er als Nachrücker in den Bundestag eingezogen. Für die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag wurde er in Nordrhein-Westfalen als Spitzenkandidat der FDP aufgestellt. Den Bundeskanzler ärgerte er mit der Forderung, bei einem Wahlsieg "den Stab in absehbarer Zeit" an Wolfgang Schäuble weiterzugeben.

Obwohl sich die FDP durch Distanzierung vom bisherigen Koalitionspartner zu profilieren hoffte, verlor sie bei dieser Bundestagswahl Stimmen. Noch schmerzhafter war es, den 3. Platz in der Parteienlandschaft an die Bündnisgrünen abgeben zu müssen. In der Opposition schärfte man das liberale Profil der Partei. Man kritisierte die CDU/CSU, die mit einer Unterschriftenaktion "Integration Ja, doppelte Staatsbürgerschaft Nein" Stimmung gegen die rot-grüne Bundesregierung machte. Im Parlament unterstützen die Liberalen einen von der SPD eingebrachten Gruppenantrag, der schließlich mit großer Mehrheit angenommen wurde. "Jeder in Deutschland geborene Ausländer erhält automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit, kann sich aber bis zu seinem 23. Lebensjahr noch für eine andere entscheiden."

Als illegale Konten der CDU in der Schweiz bekannt wurden, forderte die FDP-Parteispitze den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch zum Rücktritt auf. Er hatte von den Konten gewusst und von dem Schwarzgeld profitiert.

 

Gegenwind in der Partei und ein diplomatisches "Meisterstück"

Auf einem Sonderparteitag lehnte eine Mehrheit der Delegierten den Vorschlag des Parteipräsidiums, die schwarz-gelbe Regierung in Wiesbaden zu verlassen, ab. Diese Revolte der Basis unterstützte der linksliberale Flügel der Partei, dessen Einfluss unter Westerwelle stark zurückgegangen war. Als auch noch das Oberverwaltungsgericht in Köln wegen eines Formfehlers die Rückzahlung von regelwidrig erlangten 14,8 Millionen DM Parteienfinanzierung forderte, geriet die Partei auch noch in finanzielle Schwierigkeiten.

Für neues Selbstvertrauen sorgte ein überraschender Wahlerfolg des Parteifreundes und FDP-Vorsitzenden in Nordrhein-Westfalen, Jürgen Möllemann. Zur Erleichterung der Parteispitze erklärte ein Revisionsgericht das Kölner Urteil für nichtig. Sowohl Möllemann als auch Westerwelle warben immer offener für eine zukünftige sozial-liberale Bundesregierung. Parteiintern nahm der Druck auf den "Alleskönner" und "Vermarkter des liberalen Zeitgeistes" zu, offen Anspruch auf das Amt des Parteivorsitzenden anzumelden. Im Januar 2001 schlug der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhard eine "Tandem-Lösung" vor. Er werde weiter die FDP-Bundestagsfraktion führen und schlage nach seinem Rücktritt für das Amt des Parteivorsitzenden Guido Westerwelle vor.

Diese "fürsorgliche Kapitulation" war Westerwelles "Meisterstück" auf seinem Weg nach oben. Der im parteiinternen Machtkampf unterlegene Möllemann bestand weiter auf seinen Führungsanspruch. Er forderte, mit der "Strategie 18" (18 Prozent) die FDP zur 3. Volkspartei zu machen, und verlangte die Aufstellung eines liberalen Kanzlerkandidaten, was Westerwelle zunächst ablehnte.

Ein sensationeller Wahlerfolg mit über 13 Prozent bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im April 2002 gab dem Selbstbewusstsein neuen Auftrieb. Gleichzeitig brachte in diesem Monat Möllemann durch ein Interview die Parteispitze in Erklärungsnot. Er hatte in der "Tageszeitung" (TAZ) den Eindruck vermittelt, er billige palästinensische Terrorakte. Gleichzeitig unterstützte er den Eintritt des Ex-Grünen Janal Karsli in die FDP-Landtagsfraktion. Dieser sprach in Zusammenhang mit Israels Vorgehen gegen Palästinenser von "Nazi-Methoden". In einer rechten Zeitung beklagte er, "dass der Einfluss der zionistischen Lobby in Deutschland jede Israel-Kritik verhindere". Im Mai goss Möllemann in einer talk-Show mit seiner Äußerung, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden Michel Friedman sei durch seine intolerante, gehässige Art für den Zulauf der Antisemiten verantwortlich, weiter Öl ins Feuer.

westerwelle_mobilWährend Prominente wie Hans-Dietrich Genscher oder Otto Graf Lambsdorff heftig protestierten, signalisierten über tausend neue Parteimitglieder ihre Sympathie mit den Tabubrechern. Der Mannheimer Parteitag sollte für andere, positivere Schlagzeilen sorgen. Im Mittelpunkt des Wahlprogramms stand die Forderung nach Steuersenkungen. Um den Anspruch, 3. Volkspartei zu werden, anschaulich zu machen, wurde Guido Westerwelle zum liberalen Kanzlerkandidaten gewählt. In den Sommermonaten warb er mit seinem Guido-Mobil für sich und seine Partei. Doch auch er musste im Osten vor den Wassermassen kapitulieren. Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden von einem Jahrhunderthochwasser heimgesucht. Angesichts von Millionen-Schäden verzichtete die rot-grüne Bundesregierung auf die angekündigte 2. Stufe der Steuerreform, um die Flutopfer finanziell besser unterstützen zu können. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmte gegen den Aufschub und handelte sich damit wieder einmal den Ruf ein, die Partei der "sozialen Kälte" zu sein. Zur Strafe musste man eine weitere Legislaturperiode auf den Oppositionsbänken ausharren.

 

Sie konnten zusammen nicht kommen

merkel-westerwelleDort begannen sich Konservative und Liberale wieder anzufreunden. Man einigte sich, eine schwarz-gelbe Bundesregierung anzustreben. Bundeskanzler Gerhard Schröder versuchte im Sommer 2005 durch eine vorgezogene Bundestagswahl den Abwärtstrend der SPD zu stoppen. Im Herbst, bei der Wahl, mussten beide Volksparteien Stimmenverluste hinnehmen. Die FDP errang fast zehn Prozent, konnte aber damit die Verluste von CDU/CSU nicht ausgleichen. Da die CDU mit einem Prozent vor der SPD lag, beanspruchte Angela Merkel für sich das Amt der Bundeskanzlerin und entschied sich für eine Große Koalition.

Wieder einmal mussten der Junge und das Mädchen ihren Traum vom gemeinsam geteilten Glück aufschieben.