Die Nazi-Jägerin und die Stasi


beate_klarsfeldBei der Wahl zum Bundespräsidenten tritt gegen den Stasi-Jäger Joachim Gauck (Jahrgang 1940) die Antifaschistin Beate Klarsfeld (Jahrgang 1939) an. Sie sorgte in den siebziger Jahren, als wir in Westdeutschland gegen den Krieg in Vietnam und die drohenden Notstandsgesetze auf die Straße gingen, für Schlagzeilen.

 

 

Die BRD und ihr brauner Untergrund

Die DDR nannte sich stolz antifaschistisch. Glaubte man ihren Funktionären, so gab es Alt-Nazis nur noch drüben im anderen Teil Deutschlands. Dieses Vorurteil schien Kurt Georg Kiesinger (Jahrgang 1904), der am 1. Dezember 1966 zum 3. Bundeskanzler gewählt wurde, zu bestätigen. 1932 war er in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP-PG 2633930) eingetreten. Nicht nur der konservative Philosoph Karl Jaspers redete der jungen Republik ins Gewissen. Aus Protest gaben er und seine Frau ihre Staatsangehörigkeit zurück und emigrierten in die Schweiz. Auch Günter Grass beschwor Kiesinger in einem offenen Brief, dem Land diese Schande zu ersparen. Der Bußprediger verschwieg freilich, dass er selbst sich gegen Kriegsende freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte.

Eine Frau schlägt zu!

klarsfeld_ohrfeigeIn den heftigen Auseinandersetzungen um den "braunen" Bundeskanzler fiel eine streitbare junge Frau auf. 1968 beschimpfte sie ihn im Bonner Bundestag mit "Nazi, tritt zurück!". Sie wurde festgenommen, aber auf Anweisung Kiesingers wieder freigelassen. Auf dem am 7. November 1968 stattfindenden Berliner CDU-Parteitag stürmte sie das Podium, ohrfeigte den sprechenden Bundeskanzler und rief "Nazi, Nazi, Nazi!". Diesmal wurde sie noch an selben Tag in einem Eil-Verfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Gefängnisstrafe wurde 1969 auf vier Monate mit Bewährung abgemildert. Ihr Anwalt in diesem Verfahren war Horst Mahler. Aus ihrer Stasi-Akte geht hervor, dass die Sozialistische Einheitspartei Deutschland (SED) sich für dieses "Attentat" mit einem Geschenk in Höhe von 2.000 Mark bedankt hat.

Die Klarsfelds auf der Jagd nach untergetauchten Nazi-Tätern

Beate Künzel kam im Februar 1939 in Berlin auf die Welt und machte 1960 in Westberlin das Abitur. Dann ging sie als Au-pair-Mädchen nach Paris. Dort verliebte sie sich in Serge Klarsfeld, den sie 1963 heiratete. Serges Vater hatten die Nazis im besetzten Frankreich verhaftet und in Auschwitz umgebracht.

Gemeinsam machten sie in zahlreichen Dokumentationen auf untergetauchte oder unbehelligt lebende Nationalsozialisten aufmerksam. Dank ihres Einsatzes wurden später u.a. Kurt Lischka, Alois Brunner, Klaus Barbie, Ernst Ehlers und Kurt Asche gefasst und vor Gericht gestellt. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterstützte das Ehepaar mit Aktenmaterial, aber auch bei seiner oft abenteuerlichen Suche im Ausland.

Schon der rot-grünen Bundesregierung lag ein Antrag vor, Beate Klarsfeld für ihr einzigartiges Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen. Da sie französische Staatsbürgerin geworden war, musste das Auswärtige Amt zustimmen. Joschka Fischer, der eine Historikerkommission mit der Aufarbeitung der braunen Vergangenheit seines Ministeriums beauftragt hatte, verweigerte die Zustimmung. Als "Die Linke" die Auszeichnung noch einmal beantragte, lehnte auch Guido Westerwelle mit Hinweis auf ihre Stasi-Connection ab. Ich hätte als Außenminister anders entschieden.

Als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten steht Beate Klarsfeld mit ihrem Lebenswerk noch einmal im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Über die Motive der Linkspartei, sie aufzustellen, wird gerätselt. Schließlich war und ist sie eine vorbehaltlose Verteidigerin Israels. Viele ihrer Ansichten wurden in der früheren DDR als "zionistisch" eingestuft und erbittert bekämpft. Manche in der Partei werfen ihr Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Palästinenser vor. Auch die Frage, wieweit es in der DDR einen latenten Antisemitismus gegeben hat, steht wieder im Raum.

Die westdeutsche Republik am Abgrund

Vielleicht wäre die Geschichte der Bundesrepublik anders verlaufen, wenn es am Abend des 2. Juni 1967 jenen tödlichen Schuss auf den Studenten Benno Ohnesorg nicht gegeben hätte. Dieser Tod und der Freispruch des Schützen Karlheinz Kurras haben wesentlich zur Radikalisierung der Protestbewegung beigetragen. Ohne diesen tödlichen Schuss wäre vielleicht der Bundesrepublik die Rote Armee Fraktion (RAF) und die "Bewegung 2.Juni" mit ihren vielen Morden erspart geblieben.

Ein Blick zurückauf diesen schicksalsschweren Tag: Auch vor der Deutschen Oper wurde an jenem Abend gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi demonstriert. "Die monatelang vorbereitete Polizeimaßnahme sah vor, die Demonstranten auf engem Raum einzukesseln, dann von der Mitte her mit Schlagstöcken und berittener Polizei auseinander zu treiben und an den Außenrändern mit Wasserwerfern zu empfangen. Als "Rädelsführer" betrachtete Einzelpersonen sollten bei einer weiteren Aktionsphase, genannt "Füchse jagen", verhaftet werden. Um diese ausfindig zu machen, wurden Polizisten in Zivilkleidung unter die Demonstranten gemischt; zu ihnen gehörte Karlheinz Kurras. Er trug als Dienstwaffe eine Pistole vom Typ Walther PPK, Kaliber 7,65 mm. Entgegen der Weisung des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz begann die polizeiliche Auflösung der angemeldeten Versammlung erst während der Opernvorstellung und ohne den vorgeschriebenen Räumungsbefehl. Die Polizei verprügelte zuerst Einzelne, dann ganze Gruppen, auch am Boden Sitzende, mit Schlagstöcken und verfolgte Fliehende dann bis in Nebenstraßen und Hauseingänge hinein. Kurras und etwa zehn uniformierte Polizeibeamte stellten einige geflohene Demonstranten im Innenhof des Hauses Krumme Straße 66/67.Ihnen folgte Benno Ohnesorg, um zu beobachten, was den Geflohenen geschehen würde. Als die Polizei einige der Anwesenden verprügelte und die übrigen hinaustrieb, wollte auch er den Innenhof verlassen. Dabei wurde er von drei Beamten im Polizeigriff festgehalten und verprügelt. In dieser Situation schoss Kurras um 20:30 Uhr Ohnesorg aus kurzer Distanz in den Hinterkopf." (Entnommen Karlheinz Kurras - Wikipedia)

Keiner unter den Demonstranten hatte mit einem so brutalen Polizeieinsatz gerechnet. Verzweifelt und außer sich schrie in dieser Nacht Gudrun Enslin im Republikanischen Club: "Sie werden uns noch alle umbringen!" Uns Protestlern erschien die Republik auf dem Marsch in den Faschismus.

Unser Vertrauen in den Rechtsstaat wurde enttäuscht. Nach Ohnesorgs Tod im Krankenhaus war keine Spurensicherung am Tatort erfolgt. Bei einer Obduktion am nächsten Tag wurde festgestellt, dass man an der Leiche die Schädelsplitter an der Einschussstelle entfernt und diese zugenäht hatte. Wer diese erste Obduktion veranlasst hatte, konnte nicht geklärt werden. In der Eile hatte sie offenbar vergessen, die im Gehirn sitzende Kugel zu entfernen. Die Polizeigewerkschaft rechtfertigte noch vor einem gerichtsverfahren öffentlich den Todes-Schuss. Karlheinz Kurras wurde von seinen Kollegen durch immer neue Falschaussagen entlastet. Das Gericht stufte Kurras widersprüchliche Darstellungen als "nicht glaubwürdig" ein. Es unterstellte ihm eine Notwehr im Affekt und entlastete ihn von dem Vorwurf einer gezielten Tötung. Auf fahrlässige Tötung wurde nicht mehr ermittelt. Er wurde in zwei Verfahren freigesprochen.

Opfer wie Täter- Kurras im Spiegel seiner Stasi-Akte

kriminalobermeister-karl-heinz-kurrasFür uns Linksradikale war Karlheinz Kurras ein abgestumpfter Rechtsradikaler. Da entlarvten ihn im Mai 2009 entdeckte Stasi-Akten als einen inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR. Der Verdacht kam auf, dass die Regierung der DDR durch die Schaffung eines Märtyrers zur Eskalation der Protestrevolte und zur weiteren Destabilisierung der Verhältnisse in der BRD beitragen wollte. Ein solcher Auftrag konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Laut Akten reagierten die für ihn zuständigen Mitarbeiter des MfS auf den Tod Benno Ohnesorgs erschrocken. Diese Stasi-Akte zwingt mich 68-ziger dieser "Unperson" aus meiner Vergangenheit zumindest ein gewisses Maß an Verständnis entgegenzubringen.

Karlheinz Kurras kam 1927 als Sohn eines Polizeibeamten in Ostpreußen auf die Welt. Sein Vater fiel im Krieg. 1944 meldete sich sein Sohn, noch vor dem Abitur, freiwillig zum Kriegsdienst. Das Kriegsende erlebte er verwundet als Soldat in Berlin. Im sowjetisch besetzten Teil der Stadt begann er eine verwaltungslehre. Gleichzeitig trat er in die KPD oder in die SPD ein. Beide Parteien wurden im April 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) (zwangs)vereinigt. Im Dezember 1946 nahm die sowjetische Geheimpolizei Kurras wegen illegalen Waffenbesitzes fest. Am 9. Januar 1947 verurteilte ein sowjetisches Militärtribunal den Neunzehnjährigen nach • 58, Absatz 14 des Strafgesetzbuchs der RSFSR („Abschnitt: Gegenrevolutionäre Sabotage) wegen der "Absicht, die Macht der Regierung und das Funktionieren des Staatsapparats zu erschüttern" zu zehn Jahren Straflager. Kurras kam in das Speziallager Nr. 7 (im ehemaligen KZ-Sachsenhausen). Laut Aktennotiz verwendete ihn der Lagerkommandant als "Helfer für persönliche Dienste". Bei der Auflösung der Speziallager im Februar 1950 war er einer der Verurteilten, die vorzeitig entlassen wurden. Der Verdacht liegt nahe, dass er im Lager als Spitzel gegen Mitgefangene eingesetzt wurde.

Im März 1950 trat Kurras in den Dienst der West-Berliner Polizei und war als Polizeimeister im Bezirk Charlottenburg tätig. Im Frühjahr 1955 warnte ein Kollege die Polizei-Führung, Kurras sympathisiere mit der KPD. Mit diesem Vorwurf konfrontiert suchte er am 19. April 1955 das Gebäude des Zentralkomitees der SED in Ost-Berlin auf. Er teilte einem MfS-Vertreter seinen Wunsch mit, in der DDR zu leben und bei der Volkspolizei zu arbeiten. Er habe erkannt, dass er als "Angehöriger der Stummpolizei keiner guten Sache diene", und sich entschlossen, seine "Arbeitskraft dem Friedenslager zur Verfügung zu stellen".

Sein Gesprächspartner überzeugte Kurras in "einer gründlichen Aussprache", bei der West-Berliner Polizei zu bleiben und dort als "Inoffizieller Mitarbeiter" für die Stasi zu wirken. Am 26. April 1955 unterschrieb Kurras seine Verpflichtungserklärung. Er wählte den Decknamen "Otto Bohl". Sein Auftrag lautete, in die Abteilung I der Westberliner Polizei einzudringen. Dort liefen alle Angelegenheiten in Sachen Spionage und Überläufer aus dem Osten zusammen. Die Abteilung arbeitete auch mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und den alliierten Sicherheitsoffizieren zusammen. Als Kurier diente bis 1965 Charlotte Müller, die als kommunistische Widerstandskämpferin im KZ Ravensbrück inhaftiert gewesen war.

Eine aufregende Polizei-Karriere in Westberlin

Mit ihr besprach er in den folgenden Jahren die immer wieder auftretenden Gewissensbisse. Er ließ sich für den Deutsch-Russen Richard Sorge begeistern und hoffte, wie er einmal als Spion für die Sowjetunion berühmt zu werden. Seinem sprunghaften Gemüt leuchtete ein: wer sein Leben dem Sozialismus weiht, muss auch gewissenlos handeln können. Mit dieser Mischung aus sentimentalen Überschwang und Verbissenheit gewann er offenbar auch die Sympathie seiner Westberliner Kollegen. Der Wunsch, eine Waffe aus Kriegstagen zu behalten, hatte 1946 zu seiner Festnahme geführt. Er sammelte seit Beginn seiner Polizeikarriere Schusswaffen und galt deshalb als "Waffennarr", der das Schießen täglich übte und dafür "alles getan hätte". Er soll seinem 10-jährigen Sohn zum Geburtstag eine Waffe geschenkt haben. In West-Berlin gehörte er dem Polizeisportverein und dem Jagdverein an, verbrachte den Großteil seiner Freizeit beim Schießstand, gab bis zu 400 DM monatlich für Munition aus und war mehrere Jahre in Folge bester Schütze der West-Berliner Kriminalpolizei. Er nutzte sein Zusatzgehalt vom MfS zur Finanzierung seines Hobbys und bat das MfS um bestimmte Pistolentypen für seine Privatsammlung. In einer internen Bewertung vom 8./9. Juni 1967 bezeichnete das MfS ihn daher als "sehr verliebt in Waffen" und als "fanatischen Anhänger des Schießsports." Er habe einen "übermäßigen Hang zu Waffen und Uniform" und sei gleichzeitig disziplinlos.".

1960 wurde Kurras zur West-Berliner Kriminalpolizei versetzt. Jetzt konnte er auch Interna aus dem Landeskriminalamt, etwa über "personelle Probleme" und polizeiliche Maßnahmen an der Berliner Mauer an seine Auftraggeber weitergeben. Am 15. Dezember 1962 beantragte er seine Aufnahme in die SED mit der Begründung, dass diese "mit ihrer Zielsetzung den wahren demokratischen Willen verkörpert, ein demokratisches Deutschland zu schaffen". (Nach seiner Erschießung Benno Ohnesorgs wurden keine weiteren Marken mehr in sein SED-Mitgliedsbuch geklebt.) Zur Tarnung trat er fast zeitgleich in die West-Berliner SPD ein.

Mitarbeiter im Zentrum des Westberliner Staatsschutzes

karl_heinz_kurrasIm Januar 1965 wurde Kurras in die Abteilung I für Staatsschutz der Kriminalpolizei versetzt. Er wurde einer Sonderermittlungsgruppe zugeteilt, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste. Es gehörte nun zu seinen Aufgaben, Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit zu enttarnen. In dieser Position musste er auch festgenommene MfS-Angehörige verhören. Als eine Festgenommene Kurras gegenüber sofort geständig war und dabei den Decknamen seiner Kurierin nannte, bot er dem MfS an: "Gebt mir den Auftrag, die würde ich umbringen, so eine Verräterin."

Wegen seines Übereifers erlaubte ihm der Staatsschutz, Akten auch mit nach Hause zu nehmen. Seine Stasi-Akte enthält allein 24 Berichte über festgenommene Spione der Stasi mit Details über mindestens fünf "desertierte MfS-Angehörige". Einer von ihnen war der 22-jährige West-Berliner Bernd Ohnesorge. Dieser hatte für das MfS spioniert, gestand dies aber im Januar 1967 dem britischen Geheimdienst. Der informierte die West-Berliner Kriminalpolizei. Kurras ermittelte gegen Ohnesorge und meldete ihn als Überläufer beim MfS. 1984 wurde Ohnesorge in der Volksrepublik Bulgarien als Spion der CIA verhaftet und wahrscheinlich wegen des Berichts von Kurras in einem geheimen Militärprozess zu 15 Jahren Zuchthaus in Stara Sagora verurteilt. 1987 soll er dort Selbstmord begangen haben (Weitere Details der Stasi-Akte bei Wikipedia).

Vom Habitus her als (sozial)faschistischer Mitläufer geeignet

Leicht entflammbare Geister wie Karlheinz Kurras bieten sich totalitären Bewegungen als dankbare Opfer an. Die übertragene Aufgabe schmeichelt ihrem Selbstgefühl und verleiht ihrem chaotischen Leben eine höhere weihe. Bezeichnend ist, dass der nicht militärisch durchorganisierte Westberliner Polizeidienst aufgrund von Kurras Kauzigkeit keinen Verdacht schöpfte. Das Ministerium für Staatssicherheit wiederum nutzte seine naive Begeisterung für den ersten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat und ermutigte ihn zu immer riskanterer Spionage. Durch seinen "Fehlgriff" am 2. Juni 1967 verlor das Ministerium einen seiner tüchtigsten Mitarbeiter.

Beate Klarsfeld wie Karlheinz Kurras sind nur zwei Beispiele, wie vom "besseren Deutschland" Menschen benutzt wurden. Verbrechen begehen in dieser in Selbstgerechtigkeit gefangenen Welt immer nur die anderen. Etwas von dieser alten Schein-Heiligkeit lebt noch in der Links-Partei fort und das macht ihr Engagement für Beate Klarsfeld nicht unbedingt glaubwürdig.

(Alle Details wurden den bei Wikipedia veröffentlichten Biographien entnommen. Dort wird auch Kurt Georg Kiesinger von dem Verdacht der Mitläuferschaft entlastet.)