Erinnerungen an einen Weggefährten
Sommer 1971 wurde im Arsenal mehrmals Rosa von Praunheims Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt." gezeigt. Anschließend stritt man In den Diskussionen heftig über das vom Film vermittelte Bild des Homosexuellen. Viele Studenten beteiligten sich, die wie ich eine Alternative zur anonymen Kneipenwelt suchten. Wir vereinbarten für den Herbst ein erstes Treffen (siehe: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt – Wikipedia).
Viele waren in der linken Bewegung aktiv. Als erstes sollte eine politische Standortbestimmung erarbeitet werden. Ich plädierte für eine "Schwule Befreiungsfront", wie es sie in den USA bereits gab. Aber die meisten lehnten das Wort "schwul" als anrüchig ab. So einigten wir uns auf "Homosexuelle Aktion Westberlin" (siehe: Homosexuelle Aktion Westberlin – Wikipedia).
Ein geiler Typ
Während wir uns im hand-drugstore in der Motzstraße die Köpfe heißredeten, entdeckte ich abseits eine fesselnde Schönheit: Heinz. Seinen Namen erfuhr ich erst Wochen später. Er war einen Kopf größer als ich. Trug sein schwarzes Haar schulterlang und war braungebrannt. Ich werde leider nie richtig braun und kämpfte in der Pubertät mit einer Bleichcreme verzweifelt gegen die Flut der Sommersprossen. Heinz' sinnliche Lippen und sein schön geschwungener Brustkorb zogen mich an. Wie viele im Krieg Geborene besitze ich eine Hühnerbrust. Ich fand meine Nase zu spitz, die Lippen zu schmal und meine Beine zu dünn. Deshalb faszinierten mich Männer wie Heinz. In meiner Fantasie waren sie gut im Sport. Qualmten Zigaretten, soffen und konnten gut ficken. Heinz hatte Ausstrahlung und Sexappeal. Schnell nahm er andere für sich ein. Aber wie sah es in seinem Herzen aus?
Scheue Annäherung
Rosa von Praunheim hatte uns eine seiner Fabriketagen in der Dennewitzstraße überlassen. Fuhr ich Sonntagmorgen durch den Volkspark zurück in meine WG in der Bundesallee lief mir Heinz öfters über den Weg. Meist machte er einen gehetzten Eindruck. Manchmal erkannte er mich nicht einmal. War er auf Drogen oder hatten ihn seine Ficks so mitgenommen? Ich, der Asket, unterstellte ihm ein rauschhaftes Leben.
Ab und zu kam er Donnerstag in meine Selbsterfahrungsgruppe. Meistens schwieg er und gab wenig von sich preis. Einmal erzählte er, in Holzminden aufgewachsen zu sein. Gelernt hatte er Bürokaufmann. Dann hatte er den Sprung nach Westberlin und an die Fachschule für Sozialarbeit in Schöneberg gewagt.
Seine Mutter kannte Berlin aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Sie hatte als Sekretärin für einen Schriftsteller gearbeitet, in den sie sich prompt verliebt hatte. Obwohl sie ihm einen Jungen gebar wollte er von einer Heirat nichts wissen. Dann war auch noch Heinz unterwegs. Als er im Herbst 1946 auf die Welt kam, war sein Vater schon mehrere Monate tot. Plötzlich und unerwartet an Herzversagen gestorben. Die verzweifelte Mutter kehrte zurück nach Holzminden. Sie suchte mit den Kindern Zuflucht im Haus ihrer resoluten Schwester. Manchmal soll die überforderte Frau auf den schreienden Säugling eingeschlagen haben.
In der schwulen Sexwelt bekam Heinz den Hautkontakt, den er als Baby schmerzlich vermisst hat. Er genoss es, begehrt zu werden. Manchmal verliebte er sich in eine Frau. Aber aus Angst, alleingelassen zu werden, entzog er sich wieder. Wir waren beide verstörte Kinder überforderter Mütter, die uns kein stabiles Selbstgefühl mit auf den Weg gegeben hatten. Unstetig und getrieben träumten wir von einem unbeschwerten und rauschaftem Leben.
Auf dem Weg in eine neue Welt
Ohne Heinz hätte ich sicher nicht so schnell den Sprung in die USA gewagt. Begeistert erzählte er von seinem Amerikaaufenthalt. Jetzt saßen wir gemeinsam im Flugzeug. Im Gepäck zwei Dutzend Adressen, die uns weiterhelfen sollten. Fast alle angegebenen Personen waren unbekannt verzogen. Heinz schlief in der Wohngemeinschaft, die er von seinem ersten Besuch her kannte. Ihre Mitglieder gingen tagsüber einem Job nach, um sich abends mit H in eine andere Wirklichkeit zu spritzen. Einmal nahm er mich mit in diese von drei großen Katzen bewachte, halbdunkle Höhle. Ein paar Tage später fielen sie plötzlich über ihn her und jagten ihm einen gehörigen Schrecken ein.
Ich konnte mein Gepäck tagsüber im Apart¬ment eines Schwarzen unterstellen. Meine erste Nacht verbrachte ich oben auf dem Flachdach. Von überall her war Musik zu hören und um mich herum brutzelten die Steaks. Beim Gedanken an die nahen Häuserschluchten lief es mir kalt den Rücken herunter. Dass ich keinen festen Schlaf-platz hatte, machte mir Angst. Heinz ging alles viel unverkrampfter an. Kaugummikauend überspielte er seine mangelhaften Englischkenntnisse. Wenn ihm ein Wort fehlte war ein seltsames Grunzen zu hören. Dann grinste er breit und viele hielten ihn für einen angenehm durch geknallten Typen. Alles war so aufregend neu, dass auch ich immer mehr in den Tag hineinzuleben wagte.
San Francisco
Nach drei Wochen bestiegen wir einen Freak-Bus. Acht Menschen hatten auf dem mit Matratzen ausgelegten Boden Platz gefunden. Schon die räumliche Enge zwang, sich schnell anzufreunden. Nach zweieinhalb Tagen erreichten wir über die Golden Gate Brigde das untergegangene Paradies der Hippies. (siehe: Summer of Love – Wikipedia)Wieder hatte Heinz eine feste Unterkunft. Ich besorgte mir meine Schlafplätze in einem schwulen Selbsthilfecenter. Als Dank erwarteten die meist älteren Männer im Bett verwöhnt zu werden.
Eines Nachts landete ich in Height-Ashbury auf einer schwulen Drogenparty. Das ehemalige Zuhause der Hippies mit seinen eindrucksvollen Viktorianischen Häusern war zum Slum verkommen. Nur noch einzelne Graffitis an Wänden und Mauern erinnerten an den Sommer der Liebe 1967. Im Tiergarten bei den Haschrebellen hatte ich ein paar Mal an einem Joint gezogen. Hier gab man sich nicht mit Haschisch zufrieden. Selbst auf der Treppe hingen die Typen. Sie fielen übereinander her und rissen sich die Kleider vom Leibe. Keiner in dieser Welt exzessiven Lasters ahnte meine Unerfahrenheit. Ein Germanistikstudent, der sein Studium hingeworfen hatte, schleppte mich ab. Wie seine Mitbewohner lebte er von Sozial¬hilfe. Sie bestand aus Gutscheinen, die sie in den Supermärkten gegen Lebensmittel eintauschten. Meinen Liebhaber, der gequält werden wollte, musste ich enttäuschen. Ich wusste mit den herumliegenden Klammern und Folterwerkzeugen nichts anzufangen. Aber in den nächsten Tagen ließ ich mich am Strand von der Sonne verführen und verwöhnte als German Lustknabe die anderen.
Patrick wird geboren
Nach drei Wochen verabschiedete ich mich von Heinz und wagte, alleine weiter zu trampen. Als ich zwei Monate später in New York ankam, war ich ein Anderer geworden. Oft wurde ich wegen meiner rotblonden Haare und meiner hageren Erscheinung für einen Iren gehalten. Einige riefen mich spontan Patrik. Das gefiel mir und ich erfand die dazu passende Biographie. Jetzt war meine Arme Mutter in den Nachkriegsjahren von einem irischen Soldaten geschwängert und dann sitzen gelassen worden.
Heinz hatte sich um mich Sorgen gemacht. Als ich ihm stolz von so mancher gefährlichen Situation erzählte, war er geschockt. Aber ohne ihn hätte ich mich nie auf ein solches Abenteuer eingelassen. Unser Flugzeug landete in Köln. Als wir mit dem Zug heim nach Westberlin fuhren, kam uns unser Deutschland plötzlich so klein und provinziell vor.
Eine Demo mit verhängnisvollen Folgen
Herbst 1973 waren wir zurück aus den Vereinigten Staaten. Wahrscheinlich war es im Frühling, als sich Heinz in eine folgenreiche Auseinandersetzung verwickeln ließ. Damals kam es am KU-Damm öfters zu "wilden" (nicht angemeldeten) Demonstrationen. Meist endeten sie in Schlägereien mit den Bullen. Heinz trug seinen von Motten zerfressenen schwarzen Pelzmantel. Um die Stirn hatte er das schwarze Tuch der Anarchisten gebunden. Zivilfahnder waren im Einsatz. Sie sollten die "Rädelsführer" herausfinden und isolieren. Der große, schlanke Mann mit dem ungewöhnlichen Outfit musste ihnen auffallen. Heinz wurde herausgegriffen und festgenommen. In einem Protokoll gaben drei Polizisten an, ihn beim Steine werfen gesehen zu haben.
Seit dem Verfahren gegen Karl-Heinz Kurras hatten wir kein Vertrauen in die Justiz mehr. Kurras hatte am 2. Juni 1967 den sechsundzwanzigjährigen Studenten Benno Ohnesorg in unmittelbarer Nähe mit einen Kopfschuss getötet. Einige seiner "Kameraden" bestätigten, er habe in Notwehr gehandelt. Ihre widersprüchlichen Aussagen wurden vom Richter nicht problematisiert, Kurras freigesprochen. (siehe: Benno Ohnesorg – Wikipedia / siehe: Karl-Heinz Kurras – Wikipedia. Kurras verkörperte damals für uns den typischen Rechtsradikalen. Eine im November 2007 zufällig entdeckte Akte des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verriet, dass er als inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet hatte. Trotzdem wurde das Verfahren nicht neu aufgerollt.)
Da Heinz ein Führungszeugnis vorlegen musste, gefährdete bereits die Anklage seinen Abschluss in Sozialarbeit. Wegen des "Radikalenerlasses" (Linksradikale durften in öffentlichen Dienst nicht mehr eingestellt werden) hätte er sich bei einer Verurteilung einen neuen Beruf suchen müssen. Heinz durch litt Höllenqualen. Nach eineinhalb Jahren sprach ihn das Gericht von der Anklage frei.
Neugierig auf Erleuchtung
Während die linke Bewegung in sich bekämpfende Gruppen zerfiel sah man in den Straßen immer öfters junge Menschen in einem warmen orangefarbenen oder rotem Outfit. Um den Hals trugen sie eine Kette aus 108 Holzperlen und an ihrem Ende war das Bild ihres Gurus Bhagwan zu sehen. Ihr Zentrum befand sich in einem Hinterhof am Mehringdamm. Angeboten wurde die Dynamische Meditation und die Kundalini. Bei der Dynamischen konnte ich mir die Seele aus dem Leibe schreien und erlebte zuletzt am Boden liegend eine angenehme Erschöpfung. Die Kundalini verlangte fünfzig Minuten heftiges Schütteln und nicht selten geriet ich in eine schöne Trance (siehe: Dynamische Meditation – Wikipedia / siehe: Kundalini – Wikipedia). Auch die Lust auf junge Männer trieb mich hierher. Jeder hatte sich bis auf den Slip auszuziehen. Man musste eine der herumliegenden Augenbinden, die leider recht versifft waren, überstreifen. Während der Meditation verschob ich sie ein bisschen und genoss den Anblick verschwitzter nackter Männerrücken.
Für Heinz war das alles ziemlich neu. Mit Religion hatte er sich bisher nicht beschäftigt. Natürlich waren sein Bruder Hermann und er konfirmiert worden. An Heiligabend besuchten alle den Gottesdienst. Aber über Gott wurde zuhause genauso wenig gesprochen wie über die leidvollen Jahre seiner Mutter in Berlin.
Westberlin wird bunter
So mancher Student hatte sein Studium abgebrochen und eine Kneipe eröffnet. Heinz und ich entdeckten die Sponti-Zeitung "Hundert Blumen". Durch mich kam sie zu einer Seite für Schwule. Auch am Sponti-Info, das in der Dresdnerstraße in Kreuzberg zusammengestellt wurde, waren wir beteiligt. Erst den Sympathisanten der Roten Armee Fraktion (RAF) gelang es mit ihren immer neuen Gewaltaufrufen uns den Spass gründlich auszutreiben. (Unter dem Codewort "Hundert Blumen" sammelte der Verfassungsschutz seine Berichte über die Sponti-Szene. Zur Zeitschrift siehe: Hundert Blumen – Wikipedia)
Heinz zeigte jetzt mehr seine feminine Seite. Ermutigt durch einige junge Männer, die sich regelmäßig schminkten und ab und zu ein Kleid anzogen. Gerne besuchte er sie in ihrer WG am Anhalter Bahnhof oder ging in die Hauptstraße zu Mann-O-Mann. Dort machten wir Deutschlands ersten Männerkalender. "Warum Kasperle mein großes Vorbild ist." war mein Beitrag überschrieben. Hier wurde der "Dschungel" am Winterfeldplatz geplant. Eine Kneipe, die gut ankam und für sichere Einnahmen sorgte. (Zu dieser neuen Männerbewegung siehe: Männerbewegung – Wikipedia)
1988 hatte der Dschungel am Winterfeldplatz bereits den Ruf einer "Edeldisko". Dichtgedrängt standen die Besucher und an tanzen war nicht mehr zu denken. Thomas Kapielski, Jahrgang 1951 und selbst ein Sponti der ersten Stunde, nahm in einem Artikel in der taz die alternative Schickeria aus Korn. Immer ein bisschen unter Druck, ins Fettnäpfchen zu treten, beschrieb er die Kneipe als "gaskammervoll". Die peinliche Wortwahl und die heftigen Reaktionen machte ein breiteres Publikum auf den Autor und Künstler aufmerksam (siehe: Thomas Kapielski – Wikipedia).
Reimar Lenz hatte die Evangelische Akademie in Hofgeismar überzeugt und so traf sich dort an Pfingsten die spirituelle Szene. Heinz kam mit und war begeistert. Vielleicht fasste er hier den Entschluss, nach Poona zu Bhagwan zu fliegen. Kurz vor Weihnachten kam er auf einem Bein humpelnd von dort als Adhigama zurück. Bhagwan hatte ihn zum "Wanderer auf göttlichem Wegen" ernannt. (Ein spannendes Leben siehe: Reimar Lenz – Wikipedia / was Heinz in diesem Sommer 1977 in Poona erwartete, siehe: Osho – Wikipedia)
In den Bergen von Mallorca
Während Heinz in Indien war, plante ich mit einem jungen Paar KATEM. Es sollte ein Zentrum für Atem- und Körpertherapie werden. Ein Schweizer Psychologe bot uns an, seinen Berghof auf Mallorca zu nutzen. Als unser Flugzeug April 1978 landete, empfing uns eine blühende Insel. Adigama hatte ein Taschenbuch mit dem Titel "PSI" mit. Es beschrieb mehrere Möglichkeiten, mit der übersinnlichen Welt in Kontakt zu treten (siehe: Psi-Phänomen – Wikipedia). Ein Kapitel behandelte das "automatische Schreiben". Neugierig setzte ich mich jeden Nachmittag mit Stift und einem Block an den kleinen Tisch in unserem Innenhof. Wirklich begann nach drei Tagen meine Hand zu schreiben. Schnell füllten sich mehrere Blätter mit chinesischen Zeichen. Dass ich sie nicht lesen konnte, ärgerte mich. Aber die Leichtigkeit und Schnelle, mit der der Stift die mir fremden Zeichen auf das Blatt zauberte, waren beeindruckend. Zwei Tage später begann meine Hand zu malen. Den Zeichnungen nach waren es Kinder. Sie baten um richtige Malstifte und einen Zeichenblock. Ich ging nach Alero und besorgte das Gewünschte. Stolz wurden die neuen Zeichnungen unterschrieben. Heiner und Andreas malten recht ordentlich, während Brigitte offenbar behindert war. Mein Stift erzählte mir ihre Geschichte. Sie kamen aus Berlin und waren mit ihren Eltern bei einem Autounfall auf Mallorca ums Leben gekommen.
Seit einigen Jahren verschlechterten sich meine Augen. Die Ärzte vermuteten wegen des unscharfen Sehnervs einen Gehirntumor. Er ließ sich nicht nachweisen. Es fand sich aber auch keine andere Ursache. Warum nicht die Gunst der Stunde nutzen und den Himmel um einen Rat bitten? Die Kinder gaben meine Frage weiter. Schon beschrieb mein Stift ein Kraut und eine Stelle in Hof nähe. Es war roter Mohn.
Anfangs hatte Adigama mein Bemühen um ein Wunder belustigt verfolgt. Jetzt füllte sich bereits mein zweiter Block mit Mitteilungen. Ich rasierte mich nicht mehr. Aß kaum noch etwas. Erzählte unaufhörlich vom Erzengel Gabriel. So hatte sich mir mein Medium vorgestellt. Gabriel machte sich über uns beide lustig. Wir wären schon mit Ignatius von Loyola auf der Insel gewesen. Damals hätten wir heftig um die Gunst des Meisters gestritten (siehe: Ignatius von Loyola – Wikipedia). Nachts weckte mich Gabriel und wir wanderten unter einem prächtigen Sternenhimmel durch eine verzauberte Landschaft.
Adigama bekam Angst. Er zog sich in das einzige abschließbare Zimmer zurück. Ich aber erhielt oberhalb unseres Anwesens auf dem Berg meine Einweihung. Nach Gabriel hatte hier einmal eine Wikingerburg gestanden. Bei Sonnenuntergang trafen sich die Ritter im Hof und bildeten um einen großen, behauenen Block einen Kreis. Diesen Stein gab es noch. Ich zog mich aus und legte mich auf ihn. Am Rücken spürte ich die Strahlen der untergehenden Sonne.
Aus der Bahn geworfen
Es ging uns beiden nicht gut, als uns auf Mallorca dieses seltsame Ereignis widerfuhr. Heinz hatte vor seiner Indienreise Wohnung und Arbeitsplatz gekündigt. Jetzt war er mit einem kranken Bein zurück aus Poona und tat sich schwer, hier wieder heimisch zu werden. Mir hatte nach meinem Studium ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft drei Jahre Zeit abseits der akademischen Welt verschafft. Als letzter Mieter lebte ich in einem versifften Quergebäude in der Görlitzerstraße in Kreuzberg und arbeitete an meiner Doktorarbeit. Im Sommer wucherten im feuchten Treppenhaus Pilze und im Winter war das Außenklo oft eingefroren. Ich hatte mich immer für unterschiedliche Denkschulen interessiert. Jetzt wollte ich die verschiedenen Ansätze zu einer Theorie pädagogischen Handelns zusammenführen. Vormittags saß ich am Schreibtisch. Dann streifte ich durch die Stadt und war in Gedanken mit dem nächsten Kapitel beschäftigt. Vielleicht von der Frühlingssonne verführt landete ich einmal auf einer der vielen Toiletten. Bisher hatte ich diesen Schwulentreff gemieden. Jetzt saß ich in einer der Kabinen und empfand ihr Halbdunkel und den Mief sogar als angenehm. Ich schloss die Augen und nuckelte an den Schwänzen, die mir links wie rechts durch Löcher zugeschoben wurden. Wieder draußen lief ich schamrot an. Mein Gewissen protestierte gegen dieses primitive Treiben. Aber schon ein paar Wochen später musste ich mir eingestehen, klappensüchtig geworden zu sein.
Dann passierten zwei Zwischenfälle, die ich als ein Zeichen von oben verstand. Ich war am Nollendorfplatz unterwegs. Plötzlich drehte sich der Typ vor mir um. Er holte aus und traf mit seiner Faust mein linkes Auge.
Zwei Wochen später musste ich auch noch nach Mitternacht schnell in die Klappe am Winterfeldplatz huschen. Ich kam bekifft vom Dschungel. Zwei Männer packten mich und warfen mich zu Boden. Dann traten sie mit ihren Schuhen auf mich ein.
So schlimm das alles auch war, ich spürte ein Gefühl der Erleichterung. Endlich war ich von diesem schrecklichen Suchttrip runter geprügelt worden. Als ich im Herbst aus meiner fränkischen Heimat zurück war, saß ich ein paar Tage später schon wieder in einer Toilette.
Wir werden was wir hassen.
Zufällig war ich am 4. Dezember 1971 in der Eisenacherstraße. Ein paar Stunden später kam hier nahe der Kleiststraße bei einer Schießerei Georg von Rauch ums Leben. Auch mir hat sich das Foto des damals Vierundzwanzigjährigen tief eingeprägt. Mit seinen schwarzen Locken, den sinnlichen Lippen und seinen strahlenden Augen entsprach er so ganz der erotisch verklärten Vorstellung vom Barrikaden stürmenden Anarchisten (siehe: Georg von Rauch (Anarchist) – Wikipedia). Die "Bewegung 2. Juni" kündigte Rache an. Am 25. Februar 1975 entführte sie den CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz. Seit Wochen waren wir überall in der Stadt auf großen Plakaten mit seinem Bild konfrontiert. Ein spannender Politkrimi begann, den wir Spontis mit Lust verfolgten. Wir freuten uns mit, als politische Gefangene gegen Peter Lorenz ausgetauscht wurden. Der Staat hatte sich als erpressbar erwiesen. Mit der Geiselnahme hatte die Stadtguerilla eine wirksame Waffe im Kampf gegen den Imperialismus entdeckt. Weitere Entführungen und Anschläge folgten. Auf die kleinen Leute im Umkreis der Mächtigen wurde keine Rücksicht mehr genommen. Wenn sie im Wege standen, wurden sie erbarmungslos abgeknallt. Unseren Eltern hatten wir vorgeworfen, nicht entschieden gegen die faschistische Gewaltherrschaft gekämpft zu haben. Jetzt widersprachen auch wir nicht den Hasspredigern in unseren Reihen und nahmen den linken Terror achselzuckend hin. Erst Herbst 1977, während der Schrecken der Hanns Martin Schleyer-Entführung, wagte ich meinen Gesinnungswandel öffentlich zu machen. "Wir werden was wir hassen!" schrieb ich im Stadtmagazin Zitty (siehe: Peter Lorenz – Wikipedia / siehe: Bewegung 2. Juni – Wikipedia / siehe: Rote Armee Fraktion – Wikipedia / siehe: Hanns Martin Schleyer – Wikipedia)
Verwahrlost
Im November wurde ich vierunddreißig. "Trau keinem über Dreißig!" war einer unserer flotten Sprüche gewesen. Zwar hatte ich den Doktortitel geschafft. War aber viel zu sehr mit mir beschäftigt, um mich noch ernsthaft um Arbeit zu kümmern. Mutter hatte eine Fernsehdokumentation über schwule Sextreffs gesehen. Am Telefon sagte sie: " Langsam begreife ich, warum Du so verwahrlost bist."
Hatte sie nicht recht? Wo war der fromme Messdiener, der einmal Priester werden wollte? Wo die Begeisterung, mit der ich einmal Pädagogikstudenten ausgebildet hatte? Warum habe ich an meiner Sehnsucht nach einem Freund so wenig festgehalten? Warum gab ich mich mit dem flüchtigen Sex zufrieden?
Dieses mein bisheriges Leben bekam ich in den Bergen von Mallorca noch einmal erzählt. Der Erzähler kannte all die peinlichen Situationen, für die ich mich schämte. Kein Korb, den ich mir bei meiner verzweifelten Jagd nach Liebe eingehandelt hatte, war ihm entgangen. Meine Ängste waren ihm genauso vertraut wie meine wachsende Einsamkeit und meine Verzweiflung. Dank seiner Darstellung konnte ich über so manches Versagen sogar schmunzeln. Er erzählte so berührend, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen. Ich wurde in die Arme genommen und geküsst.
"I'm looking for someone, who changes my life. I´m looking for a miracle in my life!" (siehe: The Moody Blues – Wikipedia)
Ich hatte ihn gefunden!
Getrennte Wege
Gabriel kam mit nach Berlin. Mit ihm zusammen lernte ich Knast und Psychiatrie kennen. Adigama ergriff die Flucht. In einem dunklen Hinterhof in der Kulmerstraße in Schöneberg fand er ein neues Zuhause. Die Zeit war offenbar reif, sich auf die Suche nach dem unbekannten Vater zu machen. Dabei half ihm eine der beiden Schwestern, Freia. Den berühmten Bruder Hugo Kükelhaus wagte er nicht anzusprechen. Doch seine wichtigsten Bücher lagen auf dem Teppichboden am Rand seines Matratzenlagers. An einen Titel - "Das Wort des Johannes" - kann ich mich gut erinnern. Vielleicht gab das Buch den Anstoß, sich jetzt Johannes Kükelhaus zu nennen.
Freia wird ihm seinen Vater als romantischen Abenteurer geschildert haben. Dieses Bild vermittelt auch die bei Wikipedia veröffentlichte Biographie (siehe: Heinz Kükelhaus – Wikipedia). 1919 hatte der Siebzehnjährige die Schule abgebrochen und sich nach Nordafrika abgesetzt. Kurze Zeit muss er in der französischen Fremdenlegion gedient haben. Drei Jahre später war er schon wieder zurück bei den Eltern in Essen. Denn 1923 sind er und sein Bruder Hugo in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) eingetreten. Im Januar hatten französische Truppen das Ruhrgebiet besetzt, da die Weimarer Regierung mit ihren Reparationsleistungen im Rückstand war (siehe: Ruhrbesetzung – Wikipedia). Beide Brüder beteiligten sich am Widerstand. Heinz war einer der SA-Männer, die in Münster in einem der SPD nahestehenden Zeitungsunternehmen eine Bombe legten. Polizeilich gesucht flüchtete er nach Bayern. Das Land bot sich allen verfolgten rechtsradikalen Gruppen als sicheren Zufluchtsort an. Wahrscheinlich hat er an 9. November in München am Marsch auf die Feldherrnhalle teilgenommen (siehe: Hitlerputsch – Wikipedia). Er wurde verhaftet und wegen des Bombenattentats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Diese dunkle Seite im Leben seines Vaters wird man den jüngeren Schwestern verheimlicht haben. (Erst nach Johannes Tod habe ich mich mit seiner Familiengeschichte beschäftigt (zu den Brüdern siehe: Hugo Kükelhaus – Wikipedia / siehe: Hermann Kükelhaus – Wikipedia). Hermann war das Nesthäkchen der Familie. 1920 geboren wurde er im Russlandfeldzug schwer verwundet. Zur Genesung Nach berlin versetzt half er im Januar 1944 nach einem Bombenangriff bei den Löscharbeiten. In der Uhlandstraße stürzte er mit einem durchbrechenden Dach in die Tiefe. Nach dem Krieg veröffentlichte Hugo Kükelhaus Teile seiner literarisch dichten Briefe und Gedichte.)
Rausch und Abhängigkeit
In der Mansteinstraße, eine Querstraße von Johannes neuer Wohnung entfernt, liegt die Altberliner Kneipe Leydicke. 1877 wurden das Lokal und im Hinterhof eine Likörbrennerei eröffnet. Bis heute kann man sich dort dank der süffigen Beerenweine für wenig Geld einen respektablen Rausch leisten. Die Einrichtung stammt noch aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Filmplakate erinnern an die Publikumserfolge der fünfziger, an die Wände genagelte Plattenhüllen an den Musikgeschmack der sechziger Jahre. Noch immer wird eine Mischung aus Swing, Blues, Jazz und Rock'n'Roll aufgelegt. Johannes, der sich inzwischen mit seiner Halbglatze angefreundet hatte, erinnerte sich wehmütig an seine Zeit in Holzminden. Damals war er mit Haartolle und hautengen Bluejeans als Tanzpartner bei den Mädchen sehr beliebt. Nichtberliner müssen sich an den rauen Umgangston im Lokal erst gewöhnen. Doch selbst der besoffenste GI ließ sich ohne zu protestieren von der resoluten Wirtin Lucie vor die Türe setzen. Das Publikum war und ist meist bunt und schrill. Zu Johannes Zeiten verkehrten hier Künstler, die linke Politprominenz und jede Form von Prekariatisierten, die freilich diesen Begriff noch nicht kannten. Unter den westdeutschen Klassen, die die Frontstadt besuchten, galt die Kneipe als Geheimtipp. Für Johannes wurde sie zum zweiten Zuhause. Freilich hat er die Gastfreundschaft mit einer handfesten Alkoholabhängigkeit bezahlt (zur Geschichte der Kneipe und ihrem Publikum siehe: Leydicke – Wikipedia).
Gerda Boyesen
In diesen Jahren entdeckte Johannes London. Am internationalen Lehr- und Ausbildungsinstitut für Biodynamik begann er eine Ausbildung. Er war nie ein Kopfmensch gewesen und konnte mit dem in meiner Selbsterfahrungsgruppe üblichen Psychologisieren wenig anfangen. Bei Gerda Boyesen lernte er, mit seinen Händen therapeutisch zu arbeiten (siehe: Gerda Boyesen – Wikipedia). Die 1922 geborene Norwegerin hatte Physiotherapie und Krankengymnastik gelernt. Als Fünfundzwanzigjährige entdeckte sie die Schriften Wilhelm Reichs (siehe: Wilhelm Reich – Wikipedia). Wie dieser hatte sie bei ihrer Arbeit in der Psychiatrie einsehen müssen, dass sich viele psychisch Kranke jedem Gespräch verschließen. Doch mit ihrer Arbeit an den muskulären Verspannungen gelang es ihr, in Berührung mit dem Leid der Patienten zu kommen. Manche antworteten mit heftigen Emotionen auf die Massagen. Andere zeigten keine Reaktionen, aber ihr fielen seltsame Magen-und Darm-Geräusche auf. Um sich ein genaueres Bild machen zu können, nutzte sie bei ihren Behandlungen ein Stethoskop (siehe: Stethoskop – Wikipedia). (Ein im Hinhören geschulter Arzt kann mit diesem Instruments bis zu achtzig Prozent aller Krankheiten herausfinden. Wegen der wachsenden Zahl bildgebender Verfahren und immer neuer Blutuntersuchungstests wird bei uns das Stethoskop nur noch bei Routineuntersuchungen eingesetzt.)
Johannes lehrte mich mit Hilfe seines Stethoskops, meinem Unterleib zuzuhören. Wenn ich Aggressionen unterdrücke hört sich das anders an als wenn mich eine Depression lähmt. Beruflich unterstützte Johannes aus der Psychiatrie entlassene Patienten. Er ging mit ihnen auf Wohnungssuche und half ihnen bei der Einrichtung der eigenen Wohnung. Wir erinnerten uns an die siebziger Jahre. Damals schaffte Italien seine psychiatrischen Einrichtungen ab. Psychisch Kranke sollten nicht mehr isoliert, sondern im normalen Gesundheitsbetrieb behandelt werden. Wir hatten die Idee gut gefunden. Jetzt lernte Johannes die Schattenseiten solcher Experimente kennen. Kaum hatten sich seine Patienten wohnlich eingerichtet, entsorgten unbekannte „Freunde" die vom Sozialamt finanzierte Waschmaschine, den Kühlschrank oder den neuen Fernseher. In diesen Jahren habe ich ihn oft am Ende seiner Kraft erlebt.
AIDS
Anfang 1981 hatte ich meine Kreuzberger Wohnung aufgegeben. Meine Zigeunerjahre begannen. Sie führten mich im Sommer 1983 nach Bonn. Wie andere Freaks lebte ich in einem von Franziskaner Patres aufgegebenen Internat. Ich war in einer Arbeitslosenselbsthilfe aktiv und besuchte regelmäßig die Fraktionssitzungen der Grünen. Sie hatten im Herbst den Einzug in den Bundestag geschafft. Im Mai hatte der Spiegel zum ersten Mal über die „Schwulenseuche" berichtet, die nicht nur in Amerika die Szene in Angst und Schrecken versetzte. Johannes war unter den ersten, die sich am Westberliner Tropeninstitut anonym testen ließen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen und litt an chronischem Durchfall, als er mich in meinem neuen Zuhause besuchte. Er bat um Hilfe.
Vielleicht hatte er schon früher einmal an Selbstmord gedacht. Jedenfalls hatte er Schlaftabletten gesammelt. Jetzt fehlten ihm für den in einem Buch empfohlenen schmerzfreien Abgang nur noch ein Dutzend Luminal-Tabletten. Ich fuhr mit ihm nach Westberlin und wir bedrängten uns bekannte Ärzte. Aber keiner wollte das benötigte Rezept ausstellen. Jahre später ließ sich Johannes noch einmal testen. Der HIV-Virus konnte nicht (mehr) nachgewiesen werden. Wahrscheinlich waren beim ersten Test im Tropeninstitut die Blutergebnisse falsch zugeordnet worden.
In dieser schweren Zeit hoffte er auf die liebende Anteilnahme seiner Mutter. Er hatte ihr mein Buch „Florian – die Geschichte eines (fast) zerbrochenen Herzens" zu lesen gegeben. Aber sie ließ sich auf kein Gespräch ein. Johannes fühlte sich tief verletzt und reagierte heftig. In diesen angespannten Wochen starb seine Mutter überraschend an Herzversagen. Wieder ließ sie ihn mit dem Gefühl zurück, an ihrem Leid schuld zu sein.
Die Letzten Jahre
Ich war in meine fränkische Heimat zurückgekehrt und trat im Herbst 1985 bei der bayrischen Landtagswahl als Kandidat der Grünen an. Nach meinem Scheitern bekam ich Arbeit in einem Heim für geistig und Körperlich Schwerstbehinderte. Selbst seelisch angeschlagen lernte ich im Umgang mit diesen Menschen auch mit mir mütterlicher umzugehen. Johannes besuchte mich gerne in meinem ländlichen Zuhause in Wassertrüdingen. Nach der Wende kehrte ich in mein geliebtes Berlin zurück. Ich schlug im Ostteil der Stadt Wurzeln. Johannes neuer Freund hieß Axel. Im Gegensatz zu uns beiden hatte er die schwulen Sexwelten immer gemieden. Halt suchte und fand er in einem Aschram in Indien. Gemeinsam flogen sie in das Land, wo einst Bhagwan Johannes zum Wanderer auf göttlichen Wegen berufen hatte.
Die Sehkraft meiner Augen hatte immer mehr abgenommen. Herbst 1993 ließ ich mich deshalb auf eine Rehabilitation für Blinde und Sehbehinderte im bayrischen Veitshöchheim ein. Ein Jahr später kehrte ich erblindet und mit einem Blindenstock ausgerüstet in meine Wohnung in der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain zurück. Johannes reagierte belustigt, als ich mich weiter in die schwule Kneipenwelt mit ihren Darkrooms wagte. Er lebte inzwischen in der Kulmerstraße zwei Häuser weiter in einem sanierten Hinterhaus im vierten Stock. Die neue Wohnung war hell und freundlich. Das kleine Zimmer hatte er zu einer kuscheligen Matratzenhöhle mit all den Dingen, die ihm ans Herz gewachsen waren, gestaltet. Das große Zimmer war mit Teppichen ausgelegt und enthielt eine Trommel und mehrere Klangschalen. Ab Nachmittag konnte er mit der Sonne rechnen. Vom Balkon fiel der Blick auf eine Schule und den großen Pausenhof. Hier in seiner Oase meditierte er und kam zur Ruhe.
War wenigstens er von seiner inneren Unruhe erlöst und im Einklang mit sich selbst?
Abschied und Dank
Gemeinsam waren wir am 1. Mai 1999 unterwegs. Vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz stimmten Punkbands auf die an diesem Tage fällige Randale ein. Anschließend schlenderten wir durch den Prenzelberg. Vorbei an kampfbereiten Bullen und ihren Wannen. Wie lange war es her, als wir uns mit Ton-Steine-Scherben auf dem Mariannenplatz die Kehle heiser gebrüllt hatten?
"Macht kaputt was Euch kaputt macht!"
oder
"Die rote Front und die schwarze Front sind wir!"
Dann machte uns das Leben empfänglich für leisere Töne.
"Land in Sicht, singt der Wind in mein Herz.
Die lange Reise ist vorbei.
Morgenluft weckt meine Seele auf.
Ich lebe wieder und bin frei.
Und die Tränen von Gestern wird die Sonne trocknen.
Die Spur der Verzweiflung wird der Wind verwehn.
Die Lippen der Durstigen wird der Regen trösten
Und die längst verloren Geglaubten
werden von den Toten auferstehen."
Ein paar Wochen später brach auf Korfu Deine Lebensreise abrupt ab. Eines Abends, ganz nah am Busen Deines Freundes, setzte Dein Herz aus.
Die Kapelle des Matthäi-Friedhofs hallte von buddhistischen Gesängen, als wir von Deiner Urne Abschied nahmen. Auf Wunsch Deines Freundes kamen alle im hellen Kleidern. Hoffnung und Freude sollten den Ton bestimmen. Selbst die mitgebrachten Blumen hatten wir als ein Zeichen, dass das Leben in seiner Fülle weitergeht, wieder mit nach Hause zu nehmen. Mir war trotzdem traurig zumute. Mein mitgebrachtes Abschiedsflugblatt durfte ich nicht verteilen. Du hättest sicher protestiert.
Der Gedanke, Dir nie mehr zu begegnen, tat sehr weh. Du warst sehr wichtig in meinem Leben. Ich habe Dich sehr, sehr gerne gehabt.
Leb wohl und vielen Dank, mein Herzensbruder und Weggefährte.
(Auf dem Matthäi-Friedhof in Schöneberg liegt seine Urne im Feld X 2 in der 17. Reihe. Ein Stein, den er von einer Reise mitgebracht hatte, erinnert an Johannes Kükelhaus alias Heinz Schmidt.)