Wenn wir Georgspfadfinder am Ende einer Fahrt einen Kreis bildeten und unser Abschiedslied sangen, lief den meisten von uns ein Schauer den Rücken herunter.
"Nehmt Abschied, Brüder,
ungewiss ist jede Wiederkehr.
Die Zukunft liegt in Finsternis
und macht das Herz uns schwer.
Der Himmel wölbt sich übers Land.
lebt wohl, auf Wiedersehn.
Wir ruhen all in Gottes Hand.
Lebt wohl, auf Wiedersehn."
In ein paar Jahren werden auch meine Enkelkinder Julian und Benedikt bei den Pfadfindern dieses Lied kennenlernen. Wenn sie sich später einmal, wie ich jetzt, wehmütig daran erinnern werden, werde ich schon tot sein.
Kindheit als Traum
Noch leben diese Jungen von Augenblick zu Augenblick. Schnell wechseln sich Missstimmung und Freude ab. nur wo die leidvollen Erfahrungen übermächtig werden, verliert Kindheit ihren traumhaften Glanz.
Unser Gedächtnis erleichtert es uns, bedrückende Erfahrungen schneller zu vergessen. Deshalb kann in der Rückerinnerung bei vielen Menschen die Kindheit als ein verloren gegangenes Paradies wieder auferstehen. Oft aber zwingen uns spätere Probleme, nach Abgründen in diesen frühen Jahren zu suchen. Überrascht stellen wir fest, wie viel wir schon als Kinder wahrgenommen haben.
Die Rückseite der Enttäuschung
Es schmerzt, wenn mir mein frühes Leid bewusst wird. Offenbar bin ich in keiner so heilen Welt aufgewachsen, wie es mir meine Erinnerung lange vorgegaukelt hat. Diesen Schmerz muss ich durch mehr Selbstliebe heilen. Dann kann ich meinen Lebensweg eigenständiger und warmherziger fortsetzen.
Erneut der Welt zu vertrauen, fällt oft nicht leicht. Meist muss ich erst einen Abgrund tiefer Traurigkeit durchwandern. Das gilt auch für alle späteren Schicksalsschläge wie meine Erblindung. Zu schön war mancher strahlend blaue Sommerhimmel und so mancher geile, junge Mann, den ich als Sehender kennengelernt habe. Jetzt ist mir diese Wirklichkeitserfahrung für immer verschlossen.
Eröffnet sich mir jetzt ein anderer Blick auf die Welt, der dem Sehenden nicht zugänglich ist und mich mit meinem Verlust versöhnt? Ich kann nicht mehr sagen, wie mein Gegenüber "wirklich" aussieht. Was jetzt zu mir spricht ist sein Wesen. Freilich hängt es offenbar von meiner inneren Stimmung ab, wer mir zufällt. Bin ich erschöpft, kommen mir oft recht anstrengende Menschen zu Hilfe. Geht es mir gut, dann begegnet mir die Welt weniger anstrengend, ja fast schon beschwingt.
Der offene Augenblick
So bestimme ich immer mit, was möglich ist. Offen zu sein, ist nicht immer einfach. Meist beschäftigen sich meine Gedanken mit der Vergangenheit oder mit meinen unerfüllten Sehnsüchten. In den seltenen Augenblicken des EinsSeins mit der Welt stellt sich die Frage des Abschieds nicht mehr. Alles hat plötzlich seine Zeit und auch im endgültigen Abschied wird sich mir eine neue Wirklichkeit erschließen. Vielleicht ist es jene Ruhe in Gottes Hand, die wir Pfadfinder besungen haben.
"So ist in jedem Anbeginn
das Ende nicht mehr weit.
Wir kommen her
und gehen hin
und mit uns geht die Zeit.
Der Himmel wölbt sich übers Land.
Lebt wohl, auf Wiedersehn.
Wir ruhen all in Gottes Hand.
Lebt wohl, auf Wiedersehn."