Am 18. September 1994 war im 2. Programm des bayrischen Rundfunks eine Sendung mit diesem Titel zu hören. Autorin war Margot Litten. Ich möchte drei der dort geschilderten Vorfälle aufgreifen und ihre Darstellungsweise hinterfragen. Ich glaube, dass eine auf moralische Abscheu zielende Berichterstattung uns behinderten Menschen nicht gerecht wird, ja sogar Schaden anrichten kann.
Kleinbürgerterror in einer Schrebergartenkolonie?
In Kassel bewarben sich drei Behinderte - ein Rollstuhlfahrer, ein Blinder und ein Sehbehinderter - um einen Garten. Sie nutzten ihn mit dem Einverständnis des Vormieters, noch bevor auf einer Mitgliederversammlung über seine Weitervermietung entschieden worden war. Es kam zu einer Gewalteskalation: das Gartentor wurde eingetreten, die für den Rollstuhlfahrer angebrachte Rampe entwendet und schließlich das Gartenhaus angezündet.
Diese Darstellungsweise lässt einen Aufstand wild gewordener Kleinbürger vermuten. Nüchterner lässt sich der Konflikt wie folgt beschreiben: ein Kleingartenbesitzer möchte seinen Garten an befreundete Behinderte weitergeben. Diese nehmen Kontakt mit dem Vorstand auf. Er meldet Bedenken an. U.a. dass er sich nicht vorstellen kann, wie die drei Behinderten den Garten bewirtschaften können. Der Vorstand lehnt deshalb eine Zusage ab und will, dass eine Mitgliederversammlung über den Antrag entscheidet. Die Behinderten sind der Meinung, dass die Gründe des Vorstands nur vorgeschoben sind. Sie nehmen deshalb den Garten noch vor der Mitgliederversammlung in Besitz. Dann kam es zu den oben beschriebenen Gewaltakten.
Wenn man diese Vorgeschichte nicht verschweigt, dann geht die Provokation eindeutig von den drei Behinderten aus. Die Sorge des Vorstandes, dass sie den Garten nicht bewirtschaften können, erscheint mir berechtigt. Wie zu erwarten entschied sich die Mitgliederversammlung gegen die Übernahme des Gartens durch die Behinderten.
Angeblich war diesen inzwischen die Lust auf den Garten gründlich vergangen. In dem rundfunkinterview äußerte sich der Sehbehinderte, der gleichzeitig Geschäftsführer der Behinderteninitiative "Selbstbestimmt leben" ist: "...dies war die erste krasse Erfahrung, wo wir eigentlich gemerkt haben, das geht ganz klar gegen uns als Behinderte, dass wir die Gartenidylle, wie es da so schön geheißen hat, gestört haben."
Skinheads quälen behinderte Kinder!
Der nächste in der Sendung geschilderte Konflikt spielt in einem Naherholungsgebiet bei Halle. Skin Heads werden auf Kinder mit Spasmen aufmerksam. Einzelne von ihnen werden auf der Heimfahrt im Bus von Skins geschlagen oder sogar gewürgt. Laut Darstellung der Autorin ignorieren die anderen Busbenutzer die Übergriffe. Auch der Busfahrer fühlt sich nicht verpflichtet, den Kindern zu Hilfe zu kommen. In Halle angekommen werden die Kinder vorsorglich in einem Krankenhaus auf mögliche Verletzungen untersucht. Zurück im Heim löst ihr Bericht - Originalton der Autorin - bei den anderen Kindern lähmende Angst aus.
Wer in diesem Bericht nicht auftaucht sind die Betreuer, die die Kindergruppe offensichtlich begleitet haben. Auf ihre Initiative hin wurde ein Krankenhaus aufgesucht. Obwohl sie für die Sicherheit der Kinder verantwortlich gewesen wären, werden sie in dem Bericht unterschlagen. Jetzt sieht es so aus, als würden hilflose Behinderte- noch dazu Kinder- von brutalen Skinheads tyrannisiert. Angeblich fühlt sich kein Außenstehender verpflichtet, zugunsten der Angegriffenen einzugreifen.
Jugendliche treiben zwei Menschen in den Tod!
Der dritte in der Sendung geschilderte Konflikt endet mit zweifachem Selbstmord. Ort ist eine Kleinstadt bei Hannover. Ein Mann hat ein Bein verloren und kann sich nur noch mit Hilfe eines Dreirades fortbewegen. Als Folge des Unfalls ist er auch noch sprachgestört. Er hält sich tagsüber in der Fußgängerzone auf und wird von Jugendlichen getreten, beschimpft und bespuckt. Öfters soll der Satz "Bei Hitler hätten sie Dich vergast." gefallen sein.
Der Mann begeht Selbstmord. Er hinterlässt einen Abschiedsbrief, in dem es u.a. heißt: "Behinderte haben in dieser Welt wohl nie mehr eine Chance. Bei Hitler hätten sie mich bestimmt vergast. Vielleicht haben diese Jugendlichen recht."
Nach dem Selbstmord demonstriert die am Ort tätige Selbsthilfegruppe Behinderter, die auch der Verstorbene öfters besucht hatte. Seine Ehefrau fühlt sich verpflichtet, an diesem Protest teilzunehmen. Gleichzeitig lässt sie Außenstehende wissen, dass sie von sich aus nicht an die Öffentlichkeit gegangen wäre.
Im Rathaus fürchtet man um den Ruf des Ortes. Unnötig hätte man die ganze Gemeinde in Verruf gebracht. Unter den Bewohnern kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Das Auto der Ehefrau wird beschmiert. Sie wird mit Drohbriefen und anonymen Anrufen belästigt. Als sie sich diesen Angriffen nicht mehr gewachsen fühlt, begeht sie ebenfalls Selbstmord.
Da die Konflikte zwei Menschen in den Tod getrieben haben, fällt hier ein "nüchternerer Blick" auf die Ereignisse besonders schwer. Glücklicherweise kommt in der Sendung auch die Schwester der Ehefrau zu Wort. Ihre Aussagen tragen viel zu einem Verstehen der Konfliktspirale bei. Beide Ehepartner wurden mit der eingetretenen Behinderung des Mannes nicht fertig. Dem Mann erlaubte sein Männlichkeitsideal nicht, zuhause von den täglichen Belästigungen zu sprechen. Seine Frau fragte nicht nach, obwohl seine Beinverletzungen nicht zu übersehen waren. Der Mann spürte, dass seine Frau immer mehr von ihm abrückte. Es traf ihn tief, als sie einmal zufällig mitbekam, wie ihn Jugendliche anspuckten.
Dieselbe Ohnmacht zeigte die Frau nach dem Selbstmord ihres Mannes. Sie wäre von sich aus nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Gleichzeitig fühlte sie sich verpflichtet, die Behinderteninitiative nicht im Stich zu lassen. Die Behindertendemo heizte die Stimmung im Ort noch weiter an. Einzelne fühlten sich zu Unrecht angegriffen. Sie protestierten gegen die Aussage der behinderteninitiative, der Ort habe den Mann in den Selbstmord getrieben. Manche verwiesen auf die Schwierigkeiten in der Ehe. Linke Gruppen nahmen das Anliegen der Behinderten auf und forderten Maßnahmen gegen " Gewalt von Rechts". Auch der Pöbel griff auf seine Weise in die Auseinandersetzungen ein.
Die Ehefrau hatte gehofft, sich in eine neue Freundschaft retten zu können. Jetzt musste sie miterleben, wie ihr neuer Freund wegen ihr aus dem Tennisklub rausgeekelt wurde. Sie war mit ihrem Bemühen, es möglichst vielen recht zu machen, gescheitert. Der Tod erschien als eine Erlösung aus all den unseligen Verstrickungen.
Lassen sich die hier geschilderten Konflikte auf einen Nenner bringen? Die Autorin ist dieser Meinung und vermutet in unserer Gesellschaft einen latent vorhandenen Faschismus. Ihre Argumente sollen in einem weiteren Bericht auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden.