Kein leichtes Leben

Nachsinnen über Christoph von Schmid und seine Zeit

Christoph_von_Schmid_Denkmal_vor_der_GeorgskircheChristoph von Schmid hat mich, der ich ebenfalls in Dinkelsbühl auf die Welt kam und wie er als frommer Junge aufwuchs, schon früh beschäftigt. Ausgehend von seinem Denkmal vor der Georgskirche habe ich ihn mir lange als einen berühmten und kraftvollen Domherrn vorgestellt. Ein sehr viel realistischeres Bild liefert ein Gemälde im Heimatmuseum. Hier sieht man einen kleinen, hageren Mann, für den man spontan Mitgefühl empfindet.

Seine Freunde riefen ihn liebevoll "Stophele". Berührt von seinem weichen Wesen und seiner sentimentalen Ader nannte ihn sein väterlicher Freund Johann Michael Sailer nicht ohne Ironie den großen "Tränenpresser".

 

 

 


 

Der angehimmelte Vater

Geboren wurde Christoph Schmid am 15. August 1768 in der Klostergasse 19. Die Familie wohnte im Haus eines wohlhabenden Tuchmachers zur Untermiete. Der Arbeitsplatz des Vaters - das Deutschordensschloss- lag vor der Haustür. Dort war er für die Verwaltung der Güter in der Umgebung zuständig.

Mit Recht sah die protestantische Bevölkerung in den barocken Prunkbau eine Provokation. Der Orden hatte sich am Kreuzzug gegen die Türken, die bis nach Wien vorgedrungen waren, beteiligt und sich noch einmal Ansehen und Reichtum erworben. Sicher wollte man der vom katholischen Glauben abgefallenen Freien Reichsstadt seine wiedergewonnene Macht spüren lassen. Nur wenige, zumeist arme Leute waren in der Reformationszeit dem alten Glauben treu geblieben. Sehr zum Ärger der Lutheraner hatte ihnen in dem im Westfälischen Frieden vereinbarten Stichjahr die eindrucksvolle spätgotische Georgskirche gehört. Den Evangelischen blieb nichts anderes übrig, als ihre Gottesdienste in der bescheidenen Spitalkirche abzuhalten.

Als Beamter des Deutschen Ordens nahm Christophs Vater beim sonntäglichen Gottesdienst neben anderen Honoratioren im Chorgestühl platz. Mit Recht sah sein Sohn in ihm eine Autorität. Aus bescheidenen Verhältnissen war ihm mit der Verwaltungslaufbahn der Aufstieg geglückt. Er nahm sich Zeit für die Erziehung seines begabten Sohnes. Immer neue Belehrungen sollten ihn helfen, ein vernünftiger Mensch zu werden. Anschaulich schildert Christoph in seinen "Erinnerungen" diese Gespräche.

Dass sein Vater auch einen Hang zum Lebemann hatte, erfahren wir nebenbei. Zusammen mit einem befreundeten Priester aus Markt Lustenau besuchte er gerne den Dämmerschoppen in der Ratsstube, dem heutigen Rathaus. Christoph spürte, dass Seine Mutter Anstoß an diesen "Saufgelagen" nahm. Sie und ihre Schwester, die die Kinder gerne ärgerten, nehmen in den Erinnerungen wenig Raum ein. In dieser Zeit dominierten die Männer und Frauen hatten sich mit einer dienenden Rolle zu begnügen.

Die Entdeckung der schönen Seele

"Ich will Dich lieben Gottesmann als meiner Seele Bräutigam."

Angelus Silesius

Auf dem Gymnasium in Dillingen wurde Christoph von der Nachricht, dass sein Vater gestorben sei, überrascht. Sein früher Tod bedeutete für die kinderreiche Familie eine Katastrophe. Die Hinterbliebenenrente reichte nicht zum Leben. Die große Wohnung musste aufgegeben werden und hätte die Schwester nicht einen alten Rentier heiraten können, wäre die Familie auf der Straße gestanden.

Auch Christophs Schulbesuch konnte nicht mehr finanziert werden und es wurde über einen Brotberuf für ihn nachgedacht. Einer seiner Lehrer, jener Johann Michael Sailer, besorgte für den Halbwaisen ein Stipendium. Wie viele katholische Priester stammte er aus einem Bauernhof. Sein wacher Intellekt und seine große Empfindsamkeit machten ihn zu einer beeindruckenden, aber auch kämpferischen Erscheinung. Um einen persönlichen Glauben bemüht faszinierten ihn die Pietisten, die in ihren Gebeten oft von einer innigen Gotteserfahrung sprachen. Unterstützt von seinem aufgeklärten Fürstbischof wollte Sailer mit einem selbst verfassten Gebetbuch der Volksfrömmigkeit neue Wege weisen.

Nicht nur Katholiken ließen sich von der Strömung des Pietismus mitreißen. Seine sinnlich dichte Sprache motivierte junge Literaten, in ihren Werken das Innenleben ihrer Helden farbenreich auszumalen. Unter dem Titel eines ihrer Dramen "Sturm und Drang" wird diese Schule der Empfindsamkeit in die deutsche Literaturgeschichte eingehen.

Diesem Kult ging es um ein herzliches Miteinander. Oft wanderten seine Anhänger eng umschlungen durch die Straßen. Nicht alle Professoren am Dillinger Gymnasium fanden dem persönlichen Ton der jungen Kollegen gut. So mancher durch die freizügige Lektüre verführte Schüler weigerte sich, weiter lateinische oder griechische Vokabeln zu pauken. Dem Domkapitel in Augsburg wurde eine wachsende Respektlosigkeit unter der Schuljugend gemeldet.

Sicher gehörte der ängstliche Christoph nicht zu den Widerspenstigen. Aber auch er verschlang die empfohlenen Bücher. Klopstocks ekstatische Oden las er genauso begeistert wie Herders Schriften über die Völker der Welt. Selbst Goethes umstrittenes Buch "Die Leiden des jungen Werthers" konnte in der Schulbibliothek ausgeliehen werden. Die Briefe des Zwanzigjährigen verraten eine umfassende literarische Bildung und bezeugen ein großes, schriftstellerisches Talent.

Wonach sehnte sich seine empfindsame Seele?

Auch das verraten die Briefe dieser Jahre. Unübersehbar zog es ihn hin zum anderen, zum schönen Geschlecht. Auch Sailer, ein großer Psychologe, hat das gespürt und er empfahl einer adligen Familie den Abiturienten als Hauslehrer. Sehr lange hat Christoph es dort nicht ausgehalten. Wahrscheinlich trieb ihn die Einsamkeit zurück nach Dillingen, wo er das Theologiestudium aufnahm.


 

Im Bann der Allgäuer Erweckungsbewegung

1791 wurde Christoph Schmid zum Priester geweiht. Seine erste Kaplanstelle führte ihn nach Nassenbeuren bei Mindelheim. Dort schrieb der Dreiundzwanzigjährige das Gedicht "Ihr Kinderlein kommet!". Es wird den Erwartungen seines großen Vorbilds Sailer voll gerecht. Der Ton ist schlicht, sodass ihn auch einfache Menschen verstehen. Gleichzeitig werden Heilswahrheiten vermittelt. Das in Armut geborene Kind wird durch sein Opfer am Kreuz die Menschheit erlösen. Bezeichnenderweise sind die letzten Strophen, die von der Leidensgeschichte sprechen, heute vergessen.

Von dort wird er nach Seeg im Allgäu versetzt. Die Gegend steht schon lange unter dem Verdacht der Häresie. Nicht wenige vom Fürstbischof in Salzburg vertriebene Protestanten waren hierher geflüchtet. Ihr alter Landesherr hatte ihnen ihre Kinder weggenommen und ihr Vermögen beschlagnahmt. In der neuen Heimat besuchten sie zwar den katholischen Gottesdienst, trafen sich aber heimlich weiter zu Gebet und Bibelarbeit.

Das alarmierte Domkapitel in Augsburg sah sich in seinem Misstrauen bestätigt, als eine "Allgäuer Erweckungsbewegung" von sich reden machte. Auf ihren Versammlungen kam es nicht nur zu den von den Pietisten bekannten ekstatischen Offenbarungen. Noch schlimmer war, dass junge Frauen den Ton angaben und sich priesterliche Rechte anmaßten. Sie legten den Versammelten die Hände auf und fühlten sich berufen, andere von ihren Sünden freizusprechen.

Laut Christophs späterem Bekenntnis waren es die schönsten, aber auch verhängnisvollsten Jahre im seinem Leben. Wie andere Priester wurde er angeklagt, diese Erweckungsbewegung unterstützt zu haben. Selbst als er aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden musste, blieb er seinen Vorgesetzten als einer von Sailers Anhängern verdächtig. 


 

Die neue Zeit

Maximilian_Joseph_Graf_von_MontgelasGanz offensichtlich stand sie im Zeichen des Antichristen. Aus Frankreich geflüchtete Priester und Nonnen berichteten von schrecklichen Gewaltexzessen. König und Königin waren enthauptet worden. Immer mehr Menschen schickten die Revolutionäre auf das Schafott. Auch die Frommen, denen man eine Sympathie für das alte Regime unterstellte, bekamen ihren Hass zu spüren. Glauben wurde mit Aberglauben gleichgesetzt und erbittert bekämpft. Nicht mehr die zehn Gebote, sondern die von den Revolutionären proklamierten Menschenrechte sollten in Zukunft das Denken bestimmen.

Schon bevor in Paris Barrikaden gebaut wurden, kämpften in Deutschland zahlreiche Geheimbünde gegen den herrschenden Despotismus. Zu ihnen gehörte der 1776 gegründete Orden der Illuminaten. Sein Symbol- die Eule der Minerva- sollte ein Zeitalter der Erleuchteten ankündigen. Adam Weishaupt, sein Begründer, lehrte an der Universität Ingolstadt Philosophie und Kirchenrecht. Er empfahl den Mitgliedern, in bestehende Einrichtungen einzutreten und dort subversiv für eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu arbeiten.

Auch einen seiner Studenten, den 1759 geborenen Maximilian Josef von Montgelas konnte er für seine antiautoritären Ideen gewinnen. Der revolutionären Umtriebe verdächtigt, musste der 26-jährige aus Bayern flüchten. Nach dem Tod seines kinderlos gebliebenen Landesherrn kehrte er mit dessen Nachfolger, Kurfürst Max I. von Pfalz-Zweibrücken nach München zurück.

Auf seinen rat hin entschied sich der Kurfürst für ein Bündnis mit Napoleon, das dieser mit der Erhebung Bayerns zum Königreich belohnte. Ein paar Jahre später wird sich der neue König, wieder auf Montgelas Rat, sich Napoleons Feinden anschließen. Motgelas verdankt Bayern eine moderne Verfassung, der sich auch der König unterordnen musste. Allen wurden die gleichen Rechte und Pflichten zugestanden. Leibeigenschaft und Folter wurden abgeschafft und Wehr- und Schulpflicht eingeführt. Die Macht der Kirche wurde auf den geistlichen Bereich beschränkt, ihr Besitz eingezogen. Die Orden wurden aufgelöst und die Wallfahrten verboten. Oft gegen den Protest der Einheimischen wurden Schlösser, Klöster und Kirchen versteigert und teilweise abgerissen.

In Dinkelsbühl zerfiel mit den Jahren das leer stehende Kapuzinerkloster. Die Gebäude des aufgelösten Karmeliterordens kaufte die Evangelische Gemeinde. Die barocke Klosterkirche wurde abgerissen und durch einen streng wirkenden Baukörper ersetzt, der so gar nicht zum umgebenden Stadtbild passte. Ein Bruder der Mutter hatte einst im Karmeliterkloster Christoph Nachhilfeunterricht erteilt. Nach der Auflösung des Ordens wurden die Räume für den Schulunterricht genutzt.


Karriere eines zutiefst Unglücklichen

Auf den ersten Blick ist das weitere Leben Christoph Schmids eine einzige Erfolgsgeschichte. Durch seine Bücher wurde er zum meistgelesenen Jugendschriftsteller seiner Zeit. Schon zu seinen Lebzeiten erreichten sie beeindruckende Auflagen und wurden in 24 Sprachen übersetzt. Da ihm sein Verleger den wachsenden Absatz seiner Bücher verschwieg, hat Christoph von Schmid seinen literarischen Erfolg nur unzureichend mitbekommen.

Mit einer "Biblische(n) Geschichte für Kinder" und seinem "Gottbüchlein" bemühte er sich, Sailers Vorstellungen von einer neuen Volkspädagogik gerecht zu werden. Aber seine unerfüllte Liebessehnsucht und die fortlaufenden Verdächtigungen hatten tiefe Spuren in seiner Seele hinterlassen. Sicher spielte Resignation eine Rolle, als er trotz des Werbens seiner Freunde am Beruf des Dorfschulpfarrers festhielt. Hier unter seinen Kindern fühlte er sich sicher und geborgen.

1827 wurde er zum Domkapitular, der für das Schulwesen im Bistum Augsburg verantwortlich war, ernannt. Zehn Jahre später erhob ihn König Ludwig I. in den Adelsstand. Dieser hatte als Kronprinz während seiner Studienzeit in Landshut Johann Michael Sailer kennen und schätzen gelernt.

Als erbitterter Gegner Montgelas erzwang er mit der Drohung, den Kontakt zu seinem Vater abzubrechen, im Februar 1817 dessen Entlassung. Aber selbst als König scheiterte er bei dem Versuch, der Sailer-Gruppe zu mehr Einfluss zu verhelfen. Zu groß waren die Verletzungen auf beiden Seiten. Das Augsburger Domkapitel widersetzte sich seinem Wunsch, Johann Michael Sailer als Bischof zu akzeptieren. Bischof wurde er schließlich in Regensburg. Auch die Ehrung Christoph von Schmids durch den König beeindruckte seine früheren Gegner nicht. Er blieb auch in Augsburg ein Außenseiter.

"Tiefreligiös" - wie selbst heute manchmal noch seine Erfolgsgeschichten eingestuft werden - sind "Die Ostereier", "Genovefa" oder "Rosa von Tannenburg" sicher nicht. Allzu heftig drücken sie auf die Tränendrüse. Vielleicht gerade deshalb wurden sie in der beginnenden Romantik in so vielen Kinderstuben gelesen. Die Zeiten waren zu hart und zu konfliktreich als dass sich eine Frömmigkeitskultur, die sich nicht in Sentimentalität erschöpfte, hätte entwickeln können.

Christoph von Schmid starb am 3. September 1854 im Alter von 86 Jahren an der in Augsburg wütenden Cholera.