Wann ist zum Lieben die beste Zeit?

Robert_Eduard_PrutzRobert Eduard Prutz (1816 - 1872)

Wann ist zum Lieben die schönste Zeit?

Wenn der Frühling sich schwingt in den Lüften.

Wenn der Kuckuck ruft so weit, so weit.

Wenn die Bäume blühen und düften.

Du aber am Arme der lieblichsten Frau,

Du wandelst mit Neigen und Grüssen

und windest zum Kranze die Blumen der Au.

O seliges Lieben und Küssen!

 

Wann ist zum Lieben die beste Zeit?

Wenn der Sommer lächelt, der holde.

Es stehen die Fluren im festlichen Kleid.

Die Ähren prangen im Golde.

Da sitzt die Geliebte im blühenden Feld.

Du ruhst ihr liebkosend zu Füßen

Und über Euch dämmert das himmlische Zelt.

O seliges Lieben und Küssen!

 

Wann ist zum Lieben die beste Zeit?

 

Wenn der Herbst sich neiget zu ende.

Wenn die Buche sich färbt und das Rebhuhn schreit.

Es färbt sich der Wein am Gelände.

 

Die Kleine, die Feine, sie hat sich versteckt.

Bewirft Dich mit Trauben und Nüssen.

Du aber hast sie im Fluge entdeckt.

O seliges Lieben und Küssen!

 

Wann ist zum Lieben die beste Zeit?

 

Wenn der Winter knirscht auf dem Eise.

Die Wälder begraben, die Wege verschneit.

Die süssen Beschwerden der Reise.

 

Nun sitzt Du im Stübchen, so traulich und warm.

Es labt Dich die Liebste mit Küssen.

Sie hält Dich, sie wiegt Dich im schwellenden Arm.

O seliges Lieben und Küssen!

 

So ist zum Lieben jedwede Zeit,

die echte, die rechte, die beste.

So halte, o Herz, dich immer bereit,

zu empfangen die himmlischen Gäste.

 

Und hast Du die flüchtige Stunde verträumt,

mit Tränen wirst Du es büßen.

So leere den Becher, so lang er dir schäumt.

O seliges Lieben und Küssen!

Der Ton des Gedichts beeindruckt noch mehr, wenn man weiß, dass sein Verfasser im Jahr zuvor (1862) mit 46 Jahren seinen ersten Schlaganfall hinnehmen musste. Zehn Jahre werden ihm noch vergönnt sein. Er spürt, dass er im Herbst seines Lebens angekommen ist. Glücklich, wer wie Prutz in einer solchen Seelenstimmung ein „Buch der Liebe“ verfassen kann. Er hat sich etwas von jener Leidenschaft, die ihn als junger Mann auf die Barrikaden getrieben hat, bewahren können. Seine 1845 erschienene dramatische Satire „Die politische Wochenstube“ brachte ihm eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung ein. Es war der 75-jährige Alexander von Humboldt, der sich bei der Zensur für den aufrührerischen jungen Mann einsetzte. Wahrscheinlich enthält diese Satire auch das folgende Gedicht:

Mögen sie, die Liberalen, zugrundegehen!

(Pereant die Liberalen!)

Pereant die Liberalen,

Die nur reden, die nur prahlen,

Nur mit Worten stets bezahlen,

Aber arm an Taten sind:

 

Die bald hier-, bald dorthin sehen,

Bald nach rechts, nach links sich drehen

Wie die Fahne vor dem Wind.

 

Pereant die Liberalen, Jene blassen,

jene fahlen, Die in Zeitung und Journalen

Philosophisch sich ergehn:

 

Aber bei des Bettlers Schmerzen

Weisheitsvoll, mit kaltem Herzen

Ungerührt vorübergehn.

 

Pereant die Liberalen, Die bei schwelgerischen Mahlen

Bei gefüllten Festpokalen

Turm der Freiheit sich genannt.

 

Und die doch um einen Titel

Zensor werden oder Büttel

Oder gar ein Denunziant!

(Alle Angaben zur Person und das letzte Gedicht habe ich der bei Wikipedia veröffentlichten Biographie entnommen.)